The Green Wave von Ali Samadi Ahadi. BRD, 2010. Pegah Ferydoni, Navad Akhavan
Viele der ausgesprochenen Satze der letzten Minuten sinken in uns ein wie Blei: Wenn ihr hier im Westen am Wochenende eure Freizeit wie selbstverständlich genießt, denkt ihr mal daran, dass so was in anderen Ländern nicht möglich ist? Und wenn die westliche Welt heutzutage von Menschenrechten faselt, dann sind das reine Lippenbekenntnisse, denn was die Politik in Wahrheit meinen, sind einzig und allein ihre wirtschaftlichen Interessen, sprich das Öl, um das sie sich Sorgen machen. Die Menschen und ihre Rechte und die Verletzungen derselben sind ihnen im Grunde völlig gleichgültig. Genau das ist ja auch der Grund für den widerwärtigen Schlingerkurs der sogenannten zivilisierten Welt im Umgang mit dem iranischen Diktator Mahmud Ahmadinedschad und seinem reaktionären Regime, in dem Unterdrückung, Verfolgung, Folterung und Ermordung Andersdenkender an er Tagesordnung sind.
Harte, deutliche Worte zum Schluss sind das, die uns noch mal einen heftigen Tritt in den Hintern mit auf den Weg geben. Nicht, dass die achtzig Minuten davor weniger provokativ und engagiert wären: Ali Samadi Ahadi nimmt die Ereignisse vom Sommer 2009 im Iran zum Hintergrund für eine brillante Collage aus animierten Szenen, kurzen, zumeist mit dem Handy gefilmten Realszenen aus dem Internet, Interviews mit Opfern und Regimegegnern und zahlreichen Zitaten aus Blogs, Twitter- und Facebooknotizen. Das Frappierende heutzutage ist ja, dass es fast nicht mehr möglich ist, ein Land von der Außenwelt abzuriegeln, so wie es früher in Diktaturen gang und gäbe war. Die Vielfalt der Kommunikationsmedien, die globale Vernetzung, die Ausdehnung der youtube-Welt, die Unkontrollierbarkeit und allgemeine Verfügbarkeit von Vervielfältigungsapparaten sorgt dafür, dass fast immer und überall jemand vor Ort ist, der ein Handy oder I-Phone zur Hand hat, um Ereignisse zu filmen und das Gefilmte flugs ins Netz zu stellen. So konnte es geschehen, dass das blutige Niederschlagen der sogenannten „Grünen Revolution“ gegen den gerade neu gewählten Diktator und die höchst dubiosen Umstände seiner Wahl in aller Welt bekannt werden konnte, zumindest denen, die es wirklich zur Kenntnis nehmen wollten. Zu Wort kommen Zivilisten, Journalisten, Juristen und Geistliche, engagierte Leute, die fast alle unter die Räder der auf sie losgelassenen Schergen des Regimes geraten sind. Zu hören sind ihre Berichte von Verfolgung, Verhaftung, Folter, Todesdrohung und Exil, zu sehen sind schlimme Straßenszenen von prügelnden und willkürlich um sich schießenden Milizionären in Zivil und auf Motorrädern und von flüchtenden und sterbenden Demonstranten, zu sehen ist auch der fatale Schulterschluss der Mächtigen zwischen Ahmadinedschad und dem geistigen Oberhaupt Khamenei, das sich letztlich doch entschieden hinter den Diktator stellt und die Gläubigen zum Gehorsam aufruft, zu hören sind weitere Berichte von Augenzeugen und Beteiligten und auch Aussagen prominenter Politiker und Geistlicher, die sich aber nur deshalb so offen äußern können, weil sie nicht mehr im Iran leben. So entsteht das Bild eines Landes, das für einen kurzen Moment hoffen durfte, nach ewigen Zeiten doch noch den Weg zu Freiheit und Demokratie zu finden, und das erleben musste, wie diese Hoffnung binnen kurzem brutal zusammengeknüppelt wurde. Diese Mischung aus Ohnmacht, Wut und tiefer Trauer kommt besonders intensiv und eindrucksvoll zum Ausdruck, und dabei hat Ahadi es gar nicht nötig, sich überzogner Polemik zu bedienen. Obwohl man sich vom dokumentarischen Gestus des Films nicht täuschen lassen sollte, entwickelt sich die deutliche Anklage von selbst aus den geschilderten Ereignissen und Augenzeugenberichten, denn diese Geschichte ist dramatisch und bitter genug, bedarf keiner zusätzlicher Dramatisierung.
Wie gesagt: Just als wir uns in tiefster und wohlfeiler Betroffenheit bequem zurücklehnen wollen, macht der Film die Kehrtwende und zielt direkt auf uns. Im vielgepriesenen Global Village kann es so was wie unbeteiligte Zuschauer eigentlich nicht mehr geben. Zu vielfältig sind die Interessen, zu komplex die Allianzen und politischen Machenschaften, zu unkalkulierbar die Konsequenzen. Die sogenannte „zivilisierte Welt“ schaut zu, hält still und zittert um die Stabilität des Ölpreises, und genau diese Haltung wird hier noch mal in aller Deutlichkeit zur Sprache gebracht. Wer ewig und mit Vorliebe von Menschenrechten faselt und alle Nasenlang ein neues Bekenntnis zur internationalen Staatengemeinschaft vom Stapel lässt, der muss sich logischerweise an diesen feierlichen Worten messen lassen, und indem einige der Interviewten das hier tun, gelangen sie zu einem vernichtenden Ergebnis. Wie viele vor ihnen, und ganz sicher auch ganz viele nach ihnen, werden die Iraner mit ihrer Situation völlig allein gelassen, ganz einfach weil eine Diktatur immer noch stabiler und berechenbarer ist als Anarchie und Chaos.
Der Film ist großartig – er ist gottseidank nicht „objektiv“, hat einen Standpunkt, er äußert eine Meinung, man kann sich damit auseinandersetzen, er wühlt auf, aber er erschlägt uns nicht mit Emotionen, sondern lässt uns wach und aktiv bleiben, was gerade auch der äußerst lebendigen und spannenden künstlerischen Gestaltung zu verdanken ist. Und ich gebe gern zu, das ich zu iranischen Filmen gewöhnlich nur schwer Zugang finde und deshalb dankbar über einen Film war, der mir genau diesen Zugang mal ermöglicht hat. Wir Wessies sind halt doch eine US-Kolonie.... (2.3.)