L’arbre (The Tree) von Julie Bertuccelli. Frankreich/Australien/BRD, 2010. Charlotte Gainsbourg, Marton Czokas, Morgana Davies, Christian Byers, Tom Russell, Gabriel Gotting

   Eine Familie draußen in der australischen Wildnis, Vater, Mutter, vier Kinder, ein einfaches Holzhaus im Schatten eines riesigen, alten Feigenbaums. Der Vater kommt unerwartet am Steuer seines Autos durch einen Herzinfarkt ums Leben, seine Frau Dawn und die Kinder, drei von ihnen noch sehr jung, müssen versuchen, mit dem Verlust und ihrer Trauer zurecht zu kommen. Die achtjährige Simone entwickelt eine besondere Beziehung zu dem Baum, in dem sie ihren geleibten Vater zu finden glaubt und mit dem sie, hoch oben in den Ästen hockend, Gespräche führt. Als der Baum auch für die umliegenden Häuser immer mehr zur Bedrängnis wird und gefällt zu werden droht, geht Simone aufs Ganze, um das zu verhindern, Auch die sich anbahnende Liebesbeziehung ihrer Mutter mit dem netten George wird nicht geduldet. Der Baum selbst trifft dann die Entscheidung – bei einem wüsten Zyklon wird er entwurzelt und zerstört das Haus, weshalb die Familie ihre verbliebenden Habseligkeiten zusammenpackt und losfährt, um anderswo die Zelte neu aufzuschlagen.

   Eine einfache Geschichte um Verlust, Trauer, Loslassen, Verarbeiten, auch eine mystische Geschichte über die Kräfte der Natur – dort, wo sie noch zur Geltung kommen. Der gigantische, total urwüchsige Baum dient mal als Hort der Geborgenheit und mal als Bedrohung, wenn ein morscher Ast plötzlich das Hausdach zertrümmert, wenn Abflussleitungen blockiert, Gehwege angehoben oder Gartenzäune aus dem Boden gerissen werden durch die wild wuchernden Wurzeln. Er beherbergt einen ganzen Kleinzoo und ständig sind vielfältige Geräusche von dort zu hören, Papageienschwärme oder nächtliche Fledermäuse fleuchen durch die Gegend, und es ist kein Wunder, dass ein fantasievolles Mädchen wie Simone ihre Wünsche und ihrem Kummer diesem urtümlichen Gewächs anvertraut, vor allem wenn die Mutter von ihren eigenen Gefühlen zu sehr besetzt ist, der ältere Bruder keinen Sinn für solche Sachen hat, weil er im Begriff ist, sein eigenes Leben auf die Beine zu stellen, und die jüngeren Brüder keine Ansprechpartner in der Not sein können. Kein Wunder auch, dass sie zu extremen Maßnahmen greifen muss, um ihre eigene kleine Welt zu retten vor dem Zugriff der Erwachsenen, und dass die George als besondere Bedrohung empfindet, auch für das Gedenken an ihren Vater. Neben ihrer Mutter scheint sie der Tod des Vaters besonders mitzunehmen und in tiefe Unsicherheit zu stürzen, sodass der erzwungene Neuanfang am Schluss der einzig sinnvolle Weg in ein neues Leben zu sein scheint.

 

   Julie Bertuccelli hat daraus einen enorm gefühlvollen und vor allem visuell überwältigenden Film gemacht, der die grandiose australische Landschaft, die Farben, die Hitze, die verschiedenen Stimmungen mit selten gesehener Intensität und Schönheit einfängt und das Zuschauen zu einem reinen Genuss werden lässt. In ruhigem, balladesken Rhythmus entwickelt sich die Geschichte, die weniger via Intellekt, sondern vielmehr sinnlich aufgenommen werden will, und dank oben genannter Qualitäten ist dies perfekt gelungen. Was die Familienmitglieder verbindet, was sie manchmal auch trennt und voneinander entfernt, sie letztlich aber doch zusammenhalten und gemeinsam fortziehen lässt, ist nur unvollkommen in Worte zu fassen, sondern muss erspürt, gesehen werden. Bertuccelli hat dafür nicht nur die richtigen Bilder gefunden sondern auch die richtigen Schauspieler, vor allem beeindruckt natürlich einmal mehr die Charlotte mit ihrer ganz unaufdringlichen, natürlichen, feinfühligen Art, aber auch die erst siebenjährige Morgana Davis ist in der schwierigen Rolle der Simone ein echtes Ereignis. Alles in allem ist ein wunderbarer und bewegender Film, der meine oben beschriebene Sehnsucht nach offenen, weiten Landschaften erfüllt, der eine schöne Geschichte erzählt und mich daran erinnert, wie lange es eigentlich her ist, das zuletzt ein australischer Film bei uns zu sehen war... (7.3.)