The tree of life (#) von Terrence Malick. USA, 2011. Brad Pitt, Jessica Chastain, Hunter McCracken, Laramie Eppler, Tye Sheridan, Sean Penn, Fiona Shaw, Kari Matchett
Der geheimnisvolle Mr. Malick, so weiß man mittlerweile, hat es vorzugsweise mit den ganz essentiellen Fragen des Daseins, den Fragen nach der Liebe, dem Leben, einer höheren Ordnung, unserer menschlichen Existenz und ihres Sinnes. In seinen letzten Filmen kleidete er seine üppigen Reflexionen in eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg und eine Geschichte von der Besiedlung des amerikanischen Kontinents. Keine Filme für den Mainstream, klar, jeder für sich aber ein Ereignis, das Zeugnis ablegt von einem wirklich einzigartigen, eigensinnigen Künstler.
Diesmal scheint er auf den ersten Blick einige Stufen zurückgeschaltet zu haben, widmet er sich doch nichts Größerem als einer Familiengeschichte aus den 50er Jahren – die Nachricht vom Tod eines Sohnes (vermutlich im Krieg gefallen) trifft ein, und vor allem die tief religiöse Mama ergeht sich in verzweifelten Schuldgefühlen und der Frage nach der Existenz Gottes. Nach einer kurzen Exposition nimmt sich Mallick genau dies als Ausgangspunkt für eine nun folgende Exkursion in die Schöpfungsgeschichte, und daraus entstanden ist ein beispielloser Bilderrausch, der bei mir zumindest höchst widersprüchliche Gefühle hinterlassen hat. Manches daran mag faszinierend sein, anderes erscheint mir aber auch als ebenso naiv und oberflächlich, und wenn man den gesamten Bombast mal auf seine eigentliche Substanz zusammendampft, dann bleibt bei Licht besehen herzlich wenig übrig. Was Malick an Farben, Naturimpressionen, Symbolorgien und sonstigem auffährt, ist sicherlich mutig und teilweise imposant und wäre allemal dazu angetan, einen anderen großen Mythomanen vom Schlage Kubricks vor Neid erblassen zu lassen, doch finde ich es ebenso verständlich und naheliegend, diese elend lange Sequenz als blanken Esoterikkitsch abzutun, und als dann tatsächlich auch noch computeranimierte Dinosaurier auf der Leinwand erschienen, wähnte ich mich kurzzeitig in einem Märchenfilm à la Spielberg. Spätestens hier gerät Malicks Ausflug in die Ursprünge des Lebens zu einer unfreiwillig komischen, ärgerlichen Banalität. Bei allem Respekt für seinen kompromisslosen Ausdruckswillen konnte und mochte ich ihm an dieser Stelle nicht mehr folgen.
Gottlob aber fängt er sich danach und rollt die Geschichte jener Familie vom Anfang noch einmal auf, wobei er die Perspektive des ältesten Sohnes Jack einnimmt, der uns zwischendurch auch noch als erwachsener Man präsentiert wird, wie er trüb und orientierungslos zwischen Arbeitsplatz, Eigenheim und wiederum höchst symbolträchtigen Naturkulissen schlafwandelt, offenbar noch immer traumatisiert vom Verlust des großen Bruders und der Erfahrung einer streckenweise nicht gerade leichten Kindheit. Die nämlich wird beherrscht vom Papa, einem Ex-Armeeoffizier und erfolgreichen Ingenieur, der unentwegt das Hohelied des Erfolgs, der Strebsamkeit und der dazu nötigen Disziplin und Härte singt, eine unangenehme Verkörperung des American Dream also, der seine drei Söhne unentwegt drillt, unter Druck setzt und zu Zucht und Ordnung nötig, der sich „Sir“ und „Vater“ nennen lässt und absolut keine Gefühlsausbrüche oder gar Widerworte duldet. Ihm gegenüber erscheint die Mama als ätherischer Engel, durchscheinend, liebevoll und sanft. Sie schenkt den Söhnen in Abwesenheit des Vaters die kurzen Momente des Glücks, der Freiheit, der Spontaneität, sie verkörpert die reine, bedingungslose Liebe, wohingegen er für das Überleben, den Kampf steht. Malick stellt hier das weibliche und das männliche Prinzip sehr plakativ gegenüber, doch er gut dies auf extrem eindrucksvolle und bewegende Weise, und so ist diese lange Mittelsequenz das meisterhafte (von den Beteiligten auch meisterhaft gespielte) Kernstück eines alles in allem leider nicht meisterhaften Films. Die Szenen zwischen Vater und Sohn, denn vor allem Jack arbeitet sich an ihm ab und kompensiert seine Wut und Hilflosigkeit immer deutlicher außerhalb des engen Kreises, sind von enormer Eindringlichkeit, fast schmerzhaft zum Teil, weil in ihnen leider auch sehr viel Wahrheit steckt. So sehr Jack seine Mutter auch liebt, so klar erkennt er schließlich auch, dass er im Grunde seinem Vater ähnlicher ist, das auch er das männliche Prinzip übernommen, verinnerlicht hat, selbst wenn ihm der Vater teilweise noch so verhasst war. Diese Ähnlichkeit setzt sich fort in einem typischen Selbsthass, der wahlweise zu Aggressionen gegen sich selbst und andere führen kann, und dieser Aspekt, der in Jack sehr klar angelegt ist, hätte Stoff für eine wirklich spannende Verfolgung dieser Geschichte abgeben können. Umso enttäuschter war ich dann, Sean Penn nur als schlaffe, leblose Hülle zu erleben, als einen wortlosen, passiven, depressiv vor sich hinstarrenden Kerl, in dem nichts mehr von dem Jack nachhallt, den wir als heranwachsenden Jungen sehen und in dem wir sehr viel Konfliktpotential vermuten durften. Der erwachsene Jack schlafwandelt durch die Szenerie und sieht sich am Schluss in einer weiteren Allegorieschwemme mit den Gespenstern seiner Vergangenheit konfrontiert – noch immer auf der Suche nach dem inneren Kind, den Spuren seines Bruders und einer möglichen Versöhnung mit dem Vater. Diese wiederum sehr langatmige Sequenz zerstört viel von der Spannung und Atmosphäre des Mittelteiles und kehrt zurück zu dem feierlichen und pathetischen Ton des Anfangs – klassische Musik schwelgt, die Kamera gleitet virtuos über Wüsten, Felsformationen und weite Küstenlandschaften, und Jack vollführt zusammen mit Alt und Jung aus seinem Leben einen gestelzten Reigen am Flutsaum, wie ihn sich selbst ein Ingmar Bergman wohl nicht zu zeigen getraut hätte. Malick tut hier einfach zuviel des Guten, er wiederholt sich thematisch ein ums andere Mal, bis auch der letzte die simple Botschaft verstanden hat, nur lässt auch die Kraft und Faszination nie gesehener Bilder auf die Dauer nach, wenn man überfüttert wird, ermüdet und ein wenig angeödet, weil außer heißer Luft im Grunde gar nicht soviel gesagt wird, außer dass wir immer und ewig auf der Suche nach Liebe, Sinn, Vergebung etc. bleiben und die vielen Geheimnisse unserer Existenz nie ganz durchdringen werden.
Ein um all das pompöse Beiwerk und cirka fünfundvierzig Minuten gekürzter Film hätte vielleicht ein weiteres Meisterwerk von Malick sein können – so aber hat er sich diesmal für mein Empfinden am eigenen Anspruch verhoben – kein Grund zum Wehklagen über die vermeintlichen Begrenzungen des Mediums übrigens, denn es gibt genug Regisseure, die sehr eindrucksvoll bewiesen haben, dass man im Film durchaus philosophisch argumentieren kann. Malick selbst hat einige vorzügliche Beispiele dafür geliefert – nur diesmal leider nicht. (17.6.)