Tyrannosaur von Paddy Considine. England, 2011. Peter Mullan, Olivia Colman, Eddie Marsan, Paul Popplewell, Samuel Bottomley, Sian Breckin

   Ohne ihren fürchterlichen Schmuddelnorden wären die Brits doch glatt aufgeschmissen – wo sonst könnten sie all ihre schaurig-schönen Milieufilme derart glaubwürdig und authentisch gestalten wie da oben zwischen Leeds, Bradford und Manchester und dem berühmt-berüchtigten Riding Disctrict in Yorkshire. Diesmal isses wieder Leeds geworden, würdig tristes Setting für eine Geschichte, die die großen Vorbilder Leigh und Loach doch glatt wie Walt Disney aussehen lässt.

   Wir sehen Joseph, der nach dem Tod seiner Ehefrau sein Leben als jammervoller Alki mit Hang zu jähzornigen Gewaltausbrüchen fristet. Dem letzten fällt sein geliebter Hund zum Opfer, und jetzt spürt er seine Einsamkeit so richtig. Er trifft Hannah, die Verkäuferin in einem Charity Shop ist, und ihrerseits eine ziemlich ungute Mischung aus Religiosität, Nächstenliebe, ehelicher Gewalt und Selbstverachtung lebt. Ihr Mann ist ein widerliches Schwein, der sogleich eine Liaison zwischen Joseph und seiner Frau vermutet und sie schlimm misshandelt. Joseph nimmt Hannah bei sich auf, widerwillig zunächst, später dann doch bereitwillig, weil er einsieht, das sie unmöglich zurück nach Hause kann. Was er nicht weiß: Bei seinem letzten grausamen Ausbruch hat sie ihren Mann endlich getötet. Dafür geht sie in den Knast, die Beziehung aber wird überdauern.

   Schlachtfeld des Lebens, mal wieder ganz wörtlich genommen: Gewalt, Aggression, Tristesse überall, wenig Hoffnung, wenig Jobs. Joseph lebt auf Stütze. Hannahs Geschäft läuft gut, weil ständig Leute ihre abgetragenen Sachen für die Bedürftigen spenden. Alkohol ist der ständige Begleiter, verlorene Wettgeschäfte und Prügeleien auch. Der nette Junge von gegenüber wird vom neuen Freund der Mama drangsaliert und schließlich von dessen Kampfköter angefallen (noch so ne Kreatur, der man von Herzen alles Übel wünscht). Josephs bester Freund krepiert elend an Krebs, die Tochter hasst ihn für die vergangenen schlechten Zeiten. Die Erinnerungen an die eigene Ehe tun Joseph besonders weh, weil er eingesehen hat, dass er sich meistens wie ein mieser Scheißkerl aufgeführt hat. Hannah ist ihrem barbarischen Ehemann ausgeliefert, hasst sich selbst dafür, hat aber auch nicht die Kraft, ihn endlich zu verlassen.anna

 

 Ihre Flucht in den Glauben kann der erdrückenden Realität auf Dauer nicht standhalten, eine gewaltsame Lösung der Situation scheint unvermeidlich. Das zerreißt einem manchmal schier das Herz, und wegen mir hätte Considine manchmal ruhig einen Gang zurückschalten können, so krass und heftig hätte ich’s nicht gebraucht, immerhin aber ist ihm ein enorm kraftvolles, intensives und beeindruckendes Drama gelungen, in dem sich die grandiosen Darsteller die Seele aus dem Leib spielen und wirklich veranschaulichen, was es heißt, fast täglich um seine Würde und Existenz kämpfen zu müssen und, in Josephs Fall vor allem, gegen die inneren Dämonen, die immer wieder die Überhand zu gewinnen drohen. Dass die beiden Protagonisten vom Leben bislang so heftig gezeichnet wurden, dass sich eine Geschichte von Liebe und Vertrauen wenn überhaupt dann nur über lange Zeit hinweg entwickeln kann, ist schnell klar, wird aber von den beiden so eindrucksvoll rübergebracht, dass diese Vorhersehbarkeit niemals stört. Knappe, eindringliche Milieudarstellungen verstehen sich im britischen Kino fast schon von selbst, der Ton ist rau, häufig ziemlich hart, und doch fehlt in der Tradition der oben genannten Herren der sprichwörtliche Hoffnungsschimmer am Ende nicht. Gut und richtig ist das, denn sonst wären Filme wie dieser kaum zu verdauen. So aber ist ein weiteres Musterexemplar seiner Gattung entstanden, unverzichtbar für mich, ungenießbar für die Harmoniefreunde und all jene, die im Kino nur Erbauung und Zerstreuung suchen. Aber für die gibt’s ja noch all die anderen Spielorte... (3.11.)