Made in Dagenham (We want Sex) von Nigel Cole. England, 2010. Sally Hawkins, Bob Hoskins, Miranda Richardson, Geraldine James, Andrea Riseborough, Jaime Winstone, Rosamund Pike, Daniel Mays, Rupert Graves, Kenneth Cranham
Es ist wie immer: Einfach den BESCHEUERTEN deutschen Titel links liegen lassen und trotzdem ins Kino gehen, denn dies hier ist kein Lederhosenfilm aus Pappis Filmlabor, sondern feinste britische Wertarbeit aus guter Tradition, Sozialkino mit viel Herz und Schwung und natürlich einer Message, die uns Herren eigentlich die Schamröte in die Gesichter treiben sollte.
Dagenham, ein Stadtteil Londons, lebt seit Jahrzehnten fast ausschließlich von den dort ansässigen Fordwerken, wo anno 1968 zigtausend Männer und ganze 180 Frauen beschäftigt sind. Die schwitzen unter Tage in der Näherei, liefern zuverlässig beste Ware ab und gehen eines Tages auf die Barrikaden, als sie auf das Lohnniveau ungelernter Arbeiter heruntergedrückt werden sollen. Ihr eintägiger Streik hat Erfolg, und plötzlich riechen sie Blut und gehen weiter, fordern die lange überfällige Gleichbezahlung, fordern, genauso viel Lohn zu erhalten wie die Männer. Im miefigen, blässlichen, erzkonservativen Königreich kommt dies einer Revolution gleich, wobei die Herren sich das widerborstige Gebaren der kämpferischen Ladies zunächst mit fast ungläubiger Belustigung anschauen. Das allgemeine Lächeln gefriert aber alsbald, vor allem bei den Gewerkschaftsmuftis, die nach altem Brauch wie eh und je mit der Konzernleitung dealen und mauscheln und immer schon darauf schauen, dass ihre Interessen nicht zu kurz kommen, und bei den Herren im Mutterkonzern in Michigan, wo man gar nicht gern sieht, dass durch den Streik einer Handvoll dummer Tussis plötzlich die gesamte Produktion flachliegt, denn als die Näherei keine Bezüge mehr für die Sitze liefert, ist klar, dass kein weiteres Auto vom Band rollen kann. Also wird ein bisschen Druck gemacht, und auch die Gewerkschaft versucht, die wild gewordenen Damen zur Raison zu bringen, doch beides scheitert. Letzteres am einmal mehr couragierten Auftraten der Damen vom Werk, angeführt von Rita O’Grady, die auf dem Kongress in Eastbourne ein leidenschaftliches Plädoyer für den Kampf um die richtige Sache hält. Ersteres am couragierten Auftreten von Barbara Castle, der frisch ernannten „Ministerin für Arbeit und Produktivität“ im Kabinett Harold Wilsons. Die hält nicht nur einem massiven Einschüchterungsversuch aus den Staaten stand, sondern stellt sich öffentlich hinter die Sache der Frauen, macht sie mit zu ihrer eigenen und verhilft ihr damit zur nötigen politischen Gewichtung. Wie uns der Schlusstext stolz mitteilt, wurde dann tatsächlich schon 1970 (!!!), also knapp nach der Steinzeit, ein Gesetz verabschiedet, das die gleiche Bezahlung für Männer und Frauen vorschreibt. Wie sich das bis heute mit diesem Thema wirklich verhält, weiß man...
Gleichfalls kommen im Abspann einige der Veteraninnen von damals zu Wort, denn wer etwa glaubt, dies sei ein Stück aus dem kabarettistischen Tollhaus, sieht sich bös getäuscht – die Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten, und zwar nicht etwa von 1870, nein wirklich von 1970. Während also die Hippies in seliger Entrücktheit was von Love & Peace quakten, mühten sich die Frauen im wirklichen Leben auf einem weiteren Schritt zur Gleichberechtigung, und zwar einem ziemlich wichtigen. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – diese Logik scheint uns folgerichtig, in der Praxis jedoch sieht das anders aus, und vor vierzig Jahren erst recht, und wer weiß, wenn nicht ein paar mutige Frauen den Anfang gewagt hätten, wie lange es noch gedauert hätte, wobei England dabei gar keine unrühmliche negative Ausnahme ist.
Nigel Cole, ein Spezialist für liebenswerte britische Wohlfühlfilme („Grasgeflüster“ etwa oder „Kalender Girls“), hat sein Thema diesmal etwas ernsthafter angepackt, ohne dabei den Unterhaltungswert in irgendeiner Weise zu vernachlässigen. Sein Film ist enorm emotional, mitreißend und spannend, zeigt viel Gefühl für Zeitkolorit, Milieu, und natürlich die Personen. Die Frauen, zumeist Bewohnerinnen der wenig einladenden Werkssiedlungen rund um das riesige Fabrikgelände, haben viele harte Konflikte zu bestehen, nicht nur mit Ehemännern, Kollegen, Konzernchefs oder Gewerkschaftsfunktionären, sondern auch mit sich selbst, denn natürlich hat keine von ihnen Übung darin, sich öffentlich zu äußern, geschweige denn vor Vorgesetzten oder anderen Anzugträgern, und bisher war auch noch keine von ihnen überhaupt auf den Gedanken gekommen, gegen die herrschenden Verhältnisse aufzubegehren. Erst Albert, ein integrer Gewerkschaftler vom alten Schrot und Korn, stachelt sie an, für ihre Rechte einzutreten und setzt damit einen Prozess in Gang, der nach vielen Turbulenzen und auch einigen tragischen Rückschlägen schließlich in Westminster endet. Cole nimmt sich viel Zeit, um diesen Weg nachzuzeichnen, und er tut dies mit Laune, Solidarität und treffsicherer Ironie, wenn es um die Darstellung britischer Gesellschafts- und Politikverhältnisse jener Zeit geht. Es geht dabei aber nicht nur um publikumswirksame Kabinettstückchen, sondern auch um eine ernsthafte und differenzierte Betrachtung privater Zustände in einem Stadtteil, der ganz in den Händen eine Konzerns lebt, in einem Land, das die Folgen des Kriegstraumas noch immer spürt und auch den Weg zu mehr Liberalität und Offenheit noch nicht aus voller Überzeugung angetreten ist, trotz Swinging London und Hot Pants und Wooly Bully undsoweiter. Rita und ihren Genossinnen weht ein ganz anderer Wind entgegen, und das ist ganz und gar nicht lustig, weswegen auch Cole überwiegend zu ernsten Tönen greift, dem Thema und den geschilderten Ereignissen angemessen.
Zu der starken, sehr engagierten Regie gesellen sich ein paar schöne Songs aus jener Zeit und ein Ensemble, das bis in die Nebenrollen toll besetzt ist und mit Leuten wie Sally Hawkins, Bob Hoskins oder Miranda Richardson ein paar überragende Charakterköpfe an der Spitze hat, die zu sehen Genuss auf höchstem Niveau bedeutet. Alles in allem ein wirklich eindrucksvoller Film, der unter seiner mainstreamgängigen Oberfläche durchaus einiges zu bieten hat und uns in Rita O’Gradys flammender Ansprache an den eigenen Gatten daran erinnert, dass manche Dinge eben doch nicht so selbstverständlich sind, wie wir das heute so naiv annehmen. Aber der deutsche Titel ist und bleibt total bescheuert... (13.1.)