Hanna (Wer ist Hanna?) von Joe Wright. England/BRD/USA, 2011. Saoirse Ronan, Eric Bana, Cate Blanchett, Tom Hollander, Olivia Williams, Jessica Barden, Jason Flemyng, Martin Wuttke, Gudrun Ritter
Wow! Wer hätte gedacht, dass der bislang eher als Regisseur gediegener Literatur- und Bildungsfilme in Erscheinung getretene Herr Wright plötzlich solch ein Ding raushaut! Oder vielleicht ist das auch ganz normal, und der Herr Wright liebt wie alle Jungs tolle Bilder und fette Action... Egal, hier kann er diese Neigungen jedenfalls voll ausleben, und er tut’s auch, gibt uns reichlich von beidem und schafft es darüber hinaus auch noch, eine ganz eigenartige, faszinierende Mischung zu finden, eine Mischung aus rasantem Tempo und ätherischer, unwirklicher Ruhe. Solche Filme sieht man wirklich nicht häufig, und dann lasse ich mich gern auch mal locken vom Effektkino, das ja sonst nicht so mein Fall ist.
Die Geschichte ist natürlich ziemlich schräg und abstrus, aber was soll’s: Der böse CIA in Gestalt der bösen Frau Wiegler rekrutiert schwangere, abtreibungswillige Mamas, führt ein paar Genexperimente an ihnen durch und züchtet besonders abgehärtete, schmerz- und angstresistente Profikämpfer heran. Als das Projekt dann doch durchfällt, werden die Retortenkinder eliminiert, bis auf Hanna, die von ihrem Vater, ebenfalls einem Agenten, in der subpolaren Wildnis versteckt, aufgezogen und auf jenen unvermeidlich bevorstehenden Tag vorbereitet wird, an dem Wiegler und ihre Schergen endgültig nach dem Mädchen greifen und sie töten wollen. Tja, und der Tag kommt natürlich bald und los geht die wilde Fahrt von Finnland über Marokko, Spanien, Hamburg bis nach Berlin, wo sich Hanna und Madame Wiegler zum Showdown treffen, der natürlich mit dem Tod des Bösen endet.
Wright mischt geschickt kontemplative, poetische Momente mit halsbrecherisch komponierter und furios montierter Hochgeschwindigkeitsaction, und für die ganz Kleinen ist das wirklich nicht immer, denn die Kontrahenten schenken sich nichts und vor allem Wieglers Mitstreiter sind in der Wahl ihrer Mittel höchst resolut. Sowohl Hanna als auch ihr Vater können da jederzeit mithalten, zeigen allerdings im Gegensatz zu ihren Feinden keinerlei sadistischen Genuss am Töten. Hanna entpuppt sich im Gegenteil als ein Wesen, das erst aufbricht auf der Suche nach ihrer Identität, das von den Ereignissen selbst überrollt wird und nur mithilfe ihrer antrainierten bzw. angezüchteten Instinkte überleben kann. Eigentlich aber muss sie sich langsam aber sicher ein Bild von der Welt und den Menschen machen, und erlebt ihre sehr unterschiedlichen Begegnungen mit großer Neugier und Erwartung. Die schräge Hippiefamilie in der marokkanischen Wüste, der minderjährige spanische Gigolo, ein wunderlicher alter Freund ihres Vaters und natürlich die schlangenhaft dunkle, zynische Marissa Wiegler helfen ihr, sich grob zwischen Gut und Böse zu orientieren, doch fehlt ihr andererseits jegliches Gespür für Gefühle, seien es die eigenen oder die der anderen. Ihre Instinkte sind sehr einseitig ausgerichtet, sie kennt keine Schattierungen, keine Variationen. Ein fast durchscheinend fragiles und zugleich maschinenhaft funktionierendes Wesen, das wir tatsächlich auf dem Weg zur Menschwerdung erleben. Wenn das Drehbuch auf irgendeiner Graphic Novel basiert, würde mich das nicht wundern – viele Motive und Bilder scheinen mir einer komplett künstlichen Welt entnommen zu sein. Demgegenüber beeindruckt die Optik nicht nur in den temporeichen Momenten, sondern vor allem auch durch exquisites Gefühl für die Handlungsorte, die zum einen für prachtvolle Schauwerte und wirklich großes Kino sorgen, zum anderen jeweils sehr stark die Atmosphäre der verschiedenen Kapitel prägen. Von der finnischen Winterkälte geht’s rein in die Hitze des Maghreb und dann langsam wieder nach oben in den frösteligen Hamburger Hafen und schließlich in einen bizarren, ausrangierten Berliner Vergnügungspark, und nirgendwo ist Hanna zuhause, und selbst wenn sie ihre ärgste Feindin am Schluss töten kann, so hat sie zugleich endgültig ihre Familie und jegliche Bindung an die Welt verloren. Nicht gerade der Stoff, aus dem die Happy Endings sind.
Zwei Entscheidungen machen maßgeblich die Qualitäten des Films aus: Die packende, treibende, hochelektrische Musik der Chemical Brothers unterstützt sehr effektvoll die rastlose Dynamik des Films, und Saoirse Ronan ist natürlich eine atemberaubend perfekte Besetzung für die Hauptrolle, verkörpert ganz genau die faszinierende Zwiespältigkeit der Hanna und wirkt abwechselnd anziehend und befremdlich. Eine Figur, die zwar bis zuletzt fern bleibt, die aber dennoch bewegt und beeindruckt. Starkes, energetisches Kino für alle, die innerhalb des Genres auch noch Lust auf Neues haben. (8.6.)