Wer, wenn nicht wir von Andres Veiel. BRD, 2010. August Diehl, Lena Lauzemis, Alexander Fehling, Imogen Kogge, Michael Wittenborn, Susanne Lothar, Maria-Victoria Dragus, Thomas Thieme, Sebastian Blomberg
Möglicher Untertitel: Woher wir kamen, was wir wurden. Oder so ähnlich. Darum geht es eigentlich in Veiels Film über Bernward Vesper, Gudrun Ensslin, Andreas Baader und ihre Wege in den politischen Untergrund bzw. die innere Emigration. Vesper und Ensslin stehen dabei im Mittelpunkt, es wird erzählt, wie sie sich 1961 beim Studium in Tübingen kennen lernen, anfänglich eher eine Zweckgemeinschaft eingehen, weil der aufstrebende Verleger Vesper Unterstützung für sein Projekt benötigt, das Werk seines Vaters, des stark umstrittenen Schriftstellers und Hitlerfreundes Will Vesper zu veröffentlichen. Ensslin macht zunächst widerwillig mit, doch als sich im Lauf der 60er Jahre zunehmend auch anders orientierte Texte und Inhalte einstellen, wird ihre Beziehung enger, und schließlich haben sie ein gemeinsames Kind. Ensslin aber, die sich vor allem seit dem Umzug nach Berlin und den Ereignissen des 2. Juni 1967 zunehmend radikalisiert, sucht ein Ventil und findet es in Andreas Baader, dessen attraktive Großmäuligkeit und Hang zur Aktion sie anzieht und zugleich von Vesper entfernt, der mit aktiver Gewalt nichts anfangen kann. Nach dem ersten Anschlag (Kaufhausbrand in Frankfurt, man erinnert sich) und der ersten Gefängnishaft ist klar, dass Vesper und Ensslin keine Zukunft mehr haben. Sie geht in den Untergrund, er versucht, für den Sohn zu sorgen und gleichzeitig seinen autobiographischen Romanessay „Die Reise“ zu vollenden, scheitert aber an beidem. 1971 schon begeht er in der Psychiatrie in Hamburg/Eppendorf Selbstmord, Ensslins und Baaders weitere Geschichte ist hinreichend bekannt.
Wer von dem Film eine differenzierte Psychostudie erwartet hat, wird möglicherweise enttäuscht sein über eine empfundene „Oberflächlichkeit“, die uns Leute wie Ensslin und Baader auch nicht näher bringt als die bisherigen Filme zur RAF. Ich habe den Film eher als ein Generationenporträt gesehen und bin sehr gut damit gefahren, denn als solches funktioniert er ausgezeichnet und leistet auf diese Weise enorme Erklärungsarbeit, denn erstmals (viel klarer noch als beispielsweise in Trottas „Schwestern“ oder „Die bleierne Zeit“) erhalten wir einen tiefgehenden Einblick in die Zeit und das Milieu, das nicht nur die RAF-Terroristen der ersten Generation maßgeblich prägte, deren Wurzeln noch in der Nazizeit liegen, die aber bewusst erst in der Nachkriegszeit und vor allem den 50er Jahren aufwuchsen. Im Zentrum steht dabei die Auseinandersetzung mit der Haltung der Eltern zu den Nazis, dem Schweigen, dem Verdrängen, dem Schönreden, die daraus resultierende Wut und das drängende Bedürfnis, die bestehende Gesellschaft, die längst nicht klar genug mit der Vergangenheit abgerechnet und sich von ihr abgewandt hatte, radikal zu verändern und zu erneuern. Was aus heutiger Sicht vielleicht selbstgerecht wirkt, schien im Kontext der 50er und 60er Jahre fast zwingend notwendig zu sein, wenn man sich die Perspektive einer Generation zu eigen macht, die mit diesem Erbe leben und es verarbeiten musste. Ensslins Vater, ein Pfarrer, sympathisierte zwar mit der Bekennenden Kirche, war aber auch als Soldat aktiv, ein scheinbarer Widerspruch, den die Tochter ihm wieder und wieder vorwarf. Vespers Vater Will, wie schon gesagt ein regimetreuer Schriftsteller, rückte auch nach dem Krieg nicht von seinen rechten Überzeugungen ab und proklamierte sie ganz offen. Beide Elternhäuser werden im Film als eher streng und kalt gezeigt, vor allem die Mütter, die ihre Kinder auf Distanz halten und sich weigern, eine Meinung zu den innerfamiliären Konflikten einzunehmen. Beide Kinder begehren gegen die Eltern auf, doch beider Aufbegehren ist nicht so radikal, dass sie sich völlig von der Familie trennen. Vor allem Vespers Haltung bleibtaltung
Ambivalent, eine Orientierungslosigkeit, die sich in seiner ganzen folgenden Biographie frappierend äußert, und die hier ihren Ursprung hat. Erst will er völkisches Schmierwerk verlegen, das in den 50ern eigentlich niemand mehr lesen will (oder nur kleine, exklusive Kreise), dann plötzlich flirtet er mit den Black Panthers und Stokely Carmichaels verbaler Radikalerotik, dockt an linke Kreise in Berlin an, und stets scheint ihn vor allem ein eher kommerzielles Denken zu leiten, die Suche nach Erfolg, Prestige, finanzieller Stabilität. Alles wäre in Ordnung, wenn es sich nur verkauft. Dieses Chaos, das nichts mit Ideologie zu tun hat, findet seine Entsprechung im Privatleben, das zwar die Verbindung zu Gudrun Ensslin als Konstante zeigt, aber von vielen kurzlebigen Affären gekennzeichnet ist, die immer wieder für Frust und Konflikte, für heftige Auseinandersetzungen, Trennungen und Versöhnungen sorgen. Ensslin entwickelt sich im Vergleich zu Vesper schneller und in eine andere Richtung, wirkt auf lange Sicht sehr viel gradliniger und konsequenter, was dazu führt, dass er sich zunehmend unterlegen und zusätzlich verunsichert fühlt und sich zwischen den beiden ein deutliches Ungleichgewicht der Kräfte bemerkbar macht, was zumindest hier im Film als eine Ursache dafür benannt wird, dass sich Ensslin sofort zu Baader hingezogen fühlt, der das ganze Gegenteil von Vesper zu sein scheint, und der wie beide aus einem vom Krieg negativ geprägten Elternhaus stammt. Die letzten Szenen zeigen dann auf beklemmende Weise Vespers voranschreitenden psychischen Zusammenbruch, verkürzen die Tatsachen leider auch ein wenig, gehen beispielsweise nicht klar genug auf seinen Drogenkonsum ein, der ein Thema seines begonnenen Romans war.
Natürlich muss Veiel allgemein mit Raffungen und Vereinfachungen arbeiten, natürlich zieht er, so wie all seine Vorgänger, gängige emblematische Bilder heran, um die Geschichte Vespers und Ensslins in ihren historischen Kontext einzubetten: Wir sehen Fidel, JFK, Nikita, Napalm auf Vietnam, prügelnde Jubelperser, den Kotau der deutschen Politiker vor dem Schah, Rudi Dutschke und hören dazu den Soundtrack jener Zeit. Alles nicht neu, klar, alles aber auch ganz wirkungsvoll als Hintergrund, was auch kein Problem ist, wenn die Hauptsache stimmt. Und für meinen Geschmack stimmt sie, ist Veiel ein spannendes und aufschlussreiches Porträt gelungen, in das die provinzielle Studentenszene Tübingens ebenso überzeugend einfließt wie das mitreißende Großstadtleben Berlins und die gesamte kulturelle und soziale Bewegung der Zeit. Seine Regie wirkt mitunter ein wenig zu gewissenhaft und im Vergleich etwa zu „Baader“ von Christopher Roth wenig originell (man merkt Veiels Herkunft vom Dokumentarfilm schon), andererseits gefällt mir seine Vorgehensweise sehr viel besser als das actionreiche und rastlose Projekt von Eichinger und Edel, dem es entscheidende an Tiefgang fehlt, was man von diesem Film nicht behaupten kann. Die Hauptdarsteller bieten großartige Leistungen, vor allem August Diehl und Lena Lauzemis sind extrem stark und füllen ihre Rollen auch da mit Leben, wo Veiels Blick gelegentlich ein wenig zu akademisch wird. Insgesamt aber ist dies ein jederzeit interessanter, streckenweise auch faszinierender Film über eine Zeit, die auch nach vierzig Jahren und mehr noch immer stark nachzuwirken scheint. (30.3.)