Winter’s Bone von Debra Granik. USA, 2010. Jennifer Lawrence, John Hawkes, Lauren Sweetser, Garret Dillahunt, Dale Dickey, Shelley Waggener, Kevin Breznahan, Sheryl Lee

   Man stelle sich die ödeste, mieseste, hoffnungsloseste, entlegenste, abgewrackteste Gegend der USA vor, fülle sie mit den abgefucktesten, übelsten, kaputtesten Hinterwäldlern, die überhaupt nur denkbar sind,  potenziere anschließend den Gruselfaktor noch mal mit x – und heraus kommt ungefähr das, was sich hier in diesem ganz und gar außerordentlichen Film vor uns auftut. Vage Assoziationen an John Boormans altem Klassiker „Deliverance“ werden sich einstellen, auch fühlt man sich vermutlich mehr als einmal an das Setting herkömmlicher Horrorfilme erinnert, vor allem, wenn man die Typen sieht, die diese Welt hier in den Ozark Mountains bevölkern und auch sieht, mit welchem Gerät sie hier laufend hantieren (ja, auch die sprichwörtliche Kettensäge spielt eine nicht geringe Rolle diesmal!). Allerdings fühlte ich mich auch an eine Tradition großartiger amerikanischer Romane erinnert, vorzugsweise von Frauen, in denen das Erleben junger Erwachsener in der Provinz in oft genug sehr ärmlicher und jedenfalls krisenbelasteter Umgebung thematisiert wird. Dieser Film hat von allem etwas, ist dennoch etwas ganz eigenes und ist auf jeden Fall endlich mal wieder ein Independentfilm, der sein Etikett mit Stolz trägt und es zurecht trägt, der diesem seit langem arg verbrauchten Genre auch mal wieder einen Sinn gibt und die Lobeshymnen der Kritiker absolut rechtfertigt.

   Karg, lakonisch und grimmig wird von der siebzehnjährigen Ree erzählt, die unbedingt ihren Vater finden muss – tot oder lebendig, denn der war nur auf Bewährung raus und hat sich nun der Gerichtsverhandlung entzogen, was bedeuten würde, das die Familie für die Kaution aufkommen müsste, und weil daran nicht zu denken ist, kämen Landbesitz und vor allem das Haus an die Reihe, und Ree mitsamt zwei kleineren Geschwistern und schwerst depressiver und total handlungsunfähiger Mutter ständen mittellos auf der Straße. Nun ist Papa Jessup nichts weiter als ein schäbiger Gauner, der in seiner Privatküche Crystal kocht in einer Nachbarschaft, die nur aus solchen Gestalten besteht, unter anderem dem sinistren Onkel Teardrop, sodass Ree große Mühe hat, von irgendjemandem irgendwas zu erfahren, denn allen ist natürlich nur daran gelegen, dass die Polizei keinen Einblick in die illegalen Aktivitäten kriegt. Ree nervt die Leute dennoch mit Fragen, sie wird lästig und das mit Folgen: Sie kriegt ordentlich auf die Fresse, wird von Kautionseintreiber und der Polizei bedrängt, und erst als alles völlig hoffnungslos scheint, fassen sich die Frauen aus der Gegend ein Herz (dieselben, die sie zuvor noch so vermöbelt haben) und zeigen Ree die Leiche ihres Vaters (hier kommt nun die Kettensäge zum Einsatz...), mit deren Hilfe sie die Existenz ihrer Familie wahren kann.

   Einerseits ist dies natürlich ein spannendes, intensives Krimidrama, in erster Linie sehe ich den Film  aber als eine Studie von Land und Leuten. Zwischen Bergen aus Müll und Autoschrott hausen sie in den abgelegenen Berg- und Waldregionen, oft genug nur in Buden aus Brettern und Wellblech, von was genau sie leben, möchte man lieber nicht wissen, jedenfalls erteilen sie den Kindern bereits im Vorschulalter den Umgang mit der Flinte und huldigen so einer großen amerikanischen Tradition. Wer für diese Welt nicht tough genug ist, kommt glatt unter die Räder, Darwin wäre stolz auf diesen Haufen, und auch Ree tut nichts anderes, als die Lehren und Werte ihres Vaters fortzuleben. Der Umgangston ist äh rau, geredet wird eh nicht gern und viel, und notfalls tut’s dann auch mal eine zünftige Abreibung, wobei die Frauen nicht zurückstehen, denn auch sie wollen ja überleben. Und dennoch scheint es dieser maximal feindseligen Umwelt so etwas wie Regeln zu geben, und wo Regeln sind, gibt es auch Ausnahmen, und nur so kann Ree letztlich doch noch ans Ziel kommen – wohl auch, weil ihr Mut und ihre Hartnäckigkeit ihr Respekt eingebracht haben.

 

   Die in grün-grau-braune Schlammtöne getauchten Bilder sind ebenso schroff und eindrucksvoll wie die unfassbar tristen Drehorte und die fulminanten Darsteller, unter denen Jennifer Lawrence als Ree natürlich herausragt. Allein die zerfurchten, vom konstanten Drogenkonsum verwüsteten Gesichtslandschaften sind das Eintrittsgeld wert, sie zeugen von einer Gesellschaft, die sich fernab der großen Öffentlichkeit hermetisch eingerichtet hat, und da aus naheliegenden Gründen niemand mit ein wenig Verstand ein Interesse daran haben kann, diese „Ruhe“ zu stören, könnten sie dieses Dasein wohl noch ein paar Generationen so durchziehen, zumal die örtlichen Autoritäten wenig wirksame Mittel haben, all die vielen kleinen Drogenküchen auszuräuchern. Dies ist auf jeden Fall ein Film, den man erst mal nicht so leicht vergisst, ein Film, wie ich ihn schon lange nicht mehr aus den USA gesehen habe und der mich endlich mal wider daran erinnert hat, dass es außer Hollywood da drüben tatsächlich noch ein anderes Universum gibt. Laut Wikipedia hat der ganze Film schlappe 2 Millionen gekostet – für das Geld würden die meisten „Stars“ nicht mal ihren kleinen Finger heben! (4.4.)