17 Filles (17 Mädchen) von Delphine und Muriel Coulin. Frankreich, 2011. Louise Grinberg, Esther Garrel, Solène Rigot, Juliette Darche, Roxane Duran, Yara Pilartz, Florence Thomassin, Noémie Lvovsky
Der Stimme am Ende des Films fasst die Quintessenz dieser ungewöhnlichen Geschichte zusammen: Wenn du 17 bist, hast du Träume und eine unglaubliche Energie. Niemand kann ein 17-jähriges Mädchen aufhalten! Die doch sehr komplexe Veranschaulichung dieser These vollzieht sich an einem Gymnasium in Lorient/Morbihan. Camille tritt die Lawine los, wird ungewollt schwanger, und schafft es, sechzehn weitere Schülerinnen mitzureißen, indem sie ihnen eine lockende Vision entwirft, die Vision einer großen, solidarischen Wohngemeinschaft, in der die jungen Mütter unabhängig leben, füreinander da sind, endlich frei von den Zwängen der häufig erdrückenden Elternhäuser und allgemein einer Gesellschaft, die für Mädchen ihres Alters so gar keine Perspektiven bereithält. Es werden keine Mühen gescheut, den tollkühnen Plan in die Tat umzusetzen, die lokale Männlichkeit wird kräftig gefordert, und alsbald tummeln sich tatsächlich immer mehr Schwangere an der Schule, zur Entgeisterung der Lehrer und Eltern, die völlig hilflos mit Vorwürfen und Wut reagieren, selbst natürlich jegliche Verantwortung von sich weisen. Die Mädchen habe viele Kämpfe durchzustehen, vor allem an der Familienfront natürlich, aber auch mit sich selbst und untereinander, und nicht alle gehen dabei gut aus, zum Beispiel für Camille, die ihr Kind verliert und den Kontakt zur Gruppe abbricht. Die anderen wachsen scheinbar in die Mutterrolle hinein, doch gemeinsam großziehen, so wie einst geplant, tun sie ihre Kids dann doch nicht, und am Ende sieht man sie auf irgendwelchen städtischen Spielplätzen hocken, so wie zig andere Mamas auch, und dieses Bild hat nur noch wenig von dem überschäumenden Optimismus und dem wilden Aufbruchsgefühl der ersten Monate.
So könnte dieses Ende ein einigermaßen ernüchternder Ausklang einer weiblichen Utopie sein, die sicherlich faszinierend klingt und die einen ganz konkreten Hintergrund hat: Minderjährige dürfen in Frankreich nicht zur Abtreibung gezwungen werden, und diesen Umstand machen sich die Mädchen zunutze. Camille selbst ist anfangs durchaus zweigespalten in Bezug auf ihre Entscheidung, doch je mehr Familie und Pädagogen ihr zusetzen, desto stärker wird ihre Entschlossenheit, jetzt erst recht und gegen alle Widerstände das Kind auszutragen, und wenn’s auch nur zum Beweis ihrer Unabhängigkeit wäre. Die anderen Mädchen haben sehr unterschiedliche Motive, sich dem „Schwangerschaftspakt“ anzuschließen (der übrigens auf ein reales Ereignis aus Massachusetts zurückgeht), manche meinen es ernst wie Camille, andere tun es nur, um dabei zu sein, um Teil einer Gruppe zu sein, die sehr viel mehr Schutz, Wärme und auch Lebenslust bietet als ihr sonstiges Alltagsdasein. Das spielt sich ab in einer schmuddeligen Hafenstadt, die von heftigen Strukturveränderungen gebeutelt wurde, deren wichtigste Einnahmequellen weitgehend versiegt sind oder jedenfalls an Bedeutung verloren haben, und die Jugendlichen (und nicht nur ihnen...) folglich kaum noch etwas bieten kann. Der Blick der beiden Regisseurinnen für diesen Hintergrund ist sehr klar, und obgleich hier zu keiner Zeit ein soziologisches oder politisches Manifest verlesen wird, sind diese Verhältnisse stets und ständig präsent und spürbar. Der Films lässt uns teilhaben an dem wundersamen Projekt der Mädchen, an ihrem unbändigen Willen, den Traum in die Tat umzusetzen, an der Energie, der Freude, der Euphorie, die dieser Traum freisetzt und genauso an all den Krisen und Problemen, die irgendwie bewältigt werden müssen. Dabei halten sich die Schwestern Coulin bemerkenswert zurück, vermeiden jegliches Pathos oder Melodrama, bleiben den Mädchen einerseits sehr nahe, bewahren sich andererseits jedoch eine gewisse Distanz, die auch uns erlaubt, nicht zu stark in die Geschichte hineingesogen zu werden. Mal ist der Ton ruppig und unverblümt, mal zärtlich und schwesterlich, mal herrscht ungebremster Freiheitsdrang und mal Ernüchterung und Angst. Alles gehört dazu, alles hat seinen Platz, es wird weder beschönigt noch dramatisiert, man bangt immer ein wenig mit den Mädchen, ahnt zugleich schon, dass sich ihr Traum kaum vollständig verwirklichen lassen wird.
Dies ist ein wirklich toller Film, stark und intensiv, großartig gespielt von den jungen Darstellerinnen, ebenso großartig inszeniert zwischen Verstand und Gefühl, der Soundtrack birgt einige tolle Entdeckungen, und dann ist da ja immer noch die Bretagne, die selten so abgewrackt aussieht wie gerade hier, aber es ist halt immer noch die Bretagne (und fast hätte ich schon wieder die Koffer gepackt...) (19.6.)