360 von Fernando Meirelles. England/Frankreich/Österreich/Brasilien, 2011. Lucia Siposová, Gabriela Marcinkova, Wladimir Wdowichenkow, Dinara Drukarova, Jamel Debbouze, Maria Flor, Ben Foster, Anthony Hopkins, Jude Law, Rachel Weisz, Moritz Bleibtreu, Johannes Krisch, Marianne Jean-Baptiste
Mit „City of God“ und „The constant gardener“ hat Meirelles zwei großartige Filme gedreht, extrem kraftvoll und beeindruckend, mit „Stadt der Blinden“ immerhin noch mal eine nachhaltig bedrückende Horrorvision – und nun hat ihn scheinbar (und hoffentlich nur vorübergehend) die Kraft als Erzähler und Regisseur verlassen. Zum Teil liegt das wohl schon an der Art des Projekts an sich: Ein Episodenwerk, wie es schon einige vorher gegeben hat, das die Lebenswege und Schicksale vieler Menschen über Länder und Kontinente hinweg lose verbindet, kurz begleitet, um sie dann alle wieder loszulassen. Daraus kann sich bestenfalls ein reizvoller Blick auf globale Themen und ihre verschiedenen lokalen Erscheinungsformen ergeben, oder aber ein eher flüchtiger und oberflächlicher Reigen (hat da einer was von Arthur Schnitzler gefaselt...?) – so wie in diesem Fall.
Schauplätze sind Bratislava, Wien, Paris, London, Colorado und ein paar mehr am Rand, beteiligt sind Personen zwischen Mitte Zwanzig und Anfang Siebzig, ein gutes halbes Dutzend Nationalitäten, und die Geschichten kreisen mehr oder weniger um Beziehungen. Mal geht’s um käufliche Arrangements, mal um Geschäftsbeziehungen, mal um Ehen, mal um flüchtige Begegnungen und mal um Familienbande. Die einen trennen sich, die anderen überwinden eine Krise, dritte sind auf rastloser Suche, es gibt die unerfüllte Liebe, die religiösen Zwänge, die verbotenen Gefühle und das vergebliche Warten. Tja. Der Staffelstab wird dann von einer Stadt zur nächsten gereicht, am Ende schließt sich der Kreis in einem Fotostudio in Wien (die 360° des Titels sind damit voll), manchmal ist der Übergang recht gelungen, manchmal auch abrupt und wenig elegant, mal kommt tatsächlich so etwas wie Spannung auf (wenn beispielsweise das ahnungslose brasilianische Mädchen ausgerechnet mit dem Sexualverbrecher auf Freigang anbändelt), mal auch ein wenig mehr Intensität (wenn der seit Jahren auf ein Lebenszeichen seiner Tochter wartende Papa Hopkins seine Geschichte erzählen darf), und manche Episode wäre vielleicht sogar einen eigenen Film wert (die Schwestern aus der Slowakei etwa, die sich in Wien verkaufen, um daheim die Familie zu ernähren). Andere sind dermaßen skizzenhaft und unausgearbeitet geblieben, dass die Mitwirkung solch toller Stars wie Weisz oder Law die reine Vergeudung ist und obendrein Erwartungen weckt, die nicht mal ansatzweise erfüllt werden. Gelegentliche intensive Momente können nicht verhindern, dass der Film im ganzen merkwürdig kraftlos und trüb wirkt, ohne Schwung, ohne ein griffiges Leitmotiv, gänzlich ohne Humor, und zwischendurch mit ein paar Ansätzen zum Moralisieren, die in diesem Zusammenhang irgendwie fehl am Platze sind. Außer einiger markanter Gesichter (die man überall sonst aber schon besser gesehen hat) und einiger netter Bilder wird von „360“ nichts bleiben, und das ist für einen Film von Fernando Meirelles eine gänzlich neue und herzlich entbehrliche Erfahrung. (17.8.)