Am Himmel der Tag von Pola Beck. BRD, 2012. Aylin Tezel, Henrike von Kuick, Tómas Lemarquis, Godehard Giese, Marion Mitterhammer, Lutz Blochberger, Kai-Michael Müller, Marie Lou Sellem

   Lara und Nora sind Studentinnen in Berlin, Mitte 20, und ihr Interesse liegt allgemein eher im Partymachen und Chillen als in einer konstruktiven Zukunftsplanung. Als Lara nach einem benebelten Toilettenfick schwanger wird, ändert sich die Lage allerdings dann doch: Nach anfänglichem Schwanken entschließt sie sich gegen den Rat ihrer Freundin und den entgeisterten Eltern, Mutter werden zu wollen und stürzt sich mit zunehmender Begeisterung in die kommende Rolle. Das entfernt sie aber nicht nur von Lara, sondern stürzt sie auch in eine schlimme Krise, als sie erfährt, dass ihr Kind in ihrem Leib gestorben ist und sie sich schleunigst einer Notoperation unterziehen muss, um nicht in Lebensgefahr zu geraten. Lara aber lebt weiter wie in Trance, vertraut sich niemandem an und wird erst gerettet, nachdem sie zusammengebrochen ist. Im Krankenhaus kann sie ihr totes Kind noch einmal sehen und sich auf den Weg machen, ihre Trauer zu verarbeiten.

   Das klingt gefährlich nach Kolportagestoff für unsere unseligen Privatsender – und wäre unter deren Regie auch todsicher so was in der Art geworden. Unter Pola Becks Regie allerdings ist daraus ein ganz großartiges, sehr eindrucksvolles und berührendes Drama geworden, das man ebenso gut als Drama einer ganzen Generation sehen kann, das aber in erster Linie das Drama einer jungen Frau ist, die erst in eine tiefe Krise rutschen muss, um überhaupt mal eine Idee vom Leben zu bekommen und auch einen tieferen Zugang zu ihren Gefühlen und Wünschen und Instinkten. Das unbeschwerte Miteinander der beiden hübschen Girlies entlarvt sich selbst als hohl und leer, als die Freundschaft der beiden auf die Probe gestellt wird – Konkurrenz um einen Mann, den beide interessant finden, der sich aber für Noras entscheidet, und die wachsende Entfremdung, als Lara ganz in der Geburtsvorbereitung aufgeht und Nora plötzlich doch das Interesse an der Architektur entdeckt (aber nur, weil ihr Lover der Dozent ist und sie entsprechend „fördert“!). Diese Freundschaft ist gar keine, hat nicht die Substanz, um die Krise zu überdauern. Überhaupt wird gegen Mitte des Films schmerzhaft klar, wie einsam Lara im Grunde ist, denn sowohl die ersten spürbaren Risse in der Beziehung zu Nora als auch die ernüchternden Momente mit ihren Eltern, die so gar kein Gefühl und Verständnis für sie aufbringen können, machen deutlich, dass sie niemanden hat, dem sie sich anvertrauen kann. Und der nette Nachbar von unten, ein Isländer mit skurrilen Interessen, der sich als vielversprechender Kandidat entpuppt, kommt leider wieder mit seiner Ex zusammen und ist auf dem Sprung zurück in die Heimat. So bleibt Laras Drama unentdeckt und unerkannt, weil niemand mal richtig nachfragt, genau wissen will, wie es ihr geht. Also ist dies auch eine Lektion in Sachen Einsamkeit in der großen Stadt, deren ewige, euphorische Betriebsamkeit nichts damit zu tun hat, wie es den einzelnen Menschen geht. Ein Ort, ähnlich kontrovers und manchmal abweisend wie in „Oh Boy“, nur diesmal eben nicht in so schöne Bilder gekleidet.

   Die eine Stärke des Films ist sein Erzählstil – modern, direkt, schnell, dennoch mit viel Gefühl und einem sicheren Gespür für die Vermeidung von Kitsch und Klischee. Eine ausgezeichnete Regie, die nichts mit der gewohnten Betulichkeit und Bravheit des TV-Programms hierzulande zu tun hat.

   Die andere – noch gewichtigere – Stärke ist die grandiose Leistung Aylin Tezels, die den gesamten Film nicht nur erstaunlich souverän trägt, sondern auch die Wandlung von der richtungslosen, gelangweilten Partymaus zur einer Frau in der Krise in allen Details sehr intensiv und glaubhaft nachvollzieht. Es gelingt ihr auch, dass man ihrer Lara nie zu dicht auf die Pelle rückt, sondern immer eine wohltuende Distanz wahrt, was aber nicht heißen soll, dass man nicht mit ihr fühlt oder von ihrer Geschichte unberührt bleibt, im Gegenteil. Eine wirklich tolle Vorstellung, und zumindest innerhalb deutscher Produktionen in diesem Jahr dürfte sie damit ganz weit oben stehen und sich hoffentlich für weitere ambitionierte Projekte empfohlen haben.

 

   Dies ist also noch mal ganz starkes junges BRD-Kino, wie es gottlob immer wieder produziert werden kann, und weil das so ist, nehme ich den ganzen üblichen TV-Durchschnitt mittlerweile auch gern hin und verlasse mich darauf, dass ab und zu auch mal was Außergewöhnliches gefördert und gemacht wird. Wenn das der Deal ist – von mir aus gern. (4.12.)