Barbara von Christian Petzold. BRD, 2011. Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Mark Waschke, Jasna Fritzi Bauer, Rainer Bock, Christina Hecke, Rosa Enskat
Im Jahre des Herrn Honecker 1980 wird die Ärztin Barbara aus der Charité in die mecklenburgische Provinz versetzt, weil sie einen Ausreiseantrag laufen hat, und man weiß ja, wie beliebt solche Bürger im Paradies der Wärgdädschen waren. Im Provinzkrankenhaus stößt sie als Hauptstädterin weitgehend auf Misstrauen und Vorurteile, tut ihrerseits aber auch nichts, um auf ihre neuen Kollegen zuzugehen. Auch die Avancen des freundlichen Andre weist sie spröd zurück. In Wahrheit plant sie gemeinsam mit dem Geliebten die Flucht über die Ostsee, doch zwei Dinge kommen ihr in die Quere: Ein aus dem Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau geflüchtetes schwangeres Mädchen namens Stella, das sie vor dem Horror der „Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit“ schützen möchte, und die nun doch wachsende Zuneigung zum Kollegen, der es irgendwie schafft, dass am Ende Stella im Schlauchboot nach Dänemark sitzt und nicht sie.
Christian Petzold at his best: Klar, kühl, gradlinig und dennoch äußerst tiefgründig. Die Hauptpersonen geben ihre Geheimnisse konsequent nicht preis, nicht der nette Kollege, der ebenso gut ein Stasispitzel sein könnte, angesetzt auf die potentielle Republikflüchterin, und Barbara selbst schon gar nicht. Sie hält alle auf Distanz, gibt sich unnahbar und scheinbar arrogant, gibt dem nimmermüden Andre zunächst nur aus Höflichkeit nach und weil ewiges Neinsagen so anstrengend ist. Wie man nach und nach schlussfolgern darf, hat sie natürlich ihre Erfahrungen gesammelt, die ihr Verhalten maßgeblich geprägt haben. Die regelmäßigen Demütigungen und Schikanen, die ihr vom örtlichen Staatsschützer zugemutet werden, erträgt sie mit einer Mischung aus Resignation und ohnmächtiger Wut, die darauf hinweist, dass sie ähnliches schon häufiger über sich hat ergehen lassen müssen. Dass der lange Arm des Stasiterrors bis an die Peripherie der Republik reicht, ist ihr klar, auch das System der ständigen Bespitzelung durch aufmerksame Blockwarte funktioniert hier so gut wie anderswo, weswegen hier wie anderswo eine Stimmung latenter oder offener Feindseligkeit und Unaufrichtigkeit herrscht. Barbara glaubt Andres Geschichten zunächst nicht, und auch wir Zuschauer halten es durchaus für möglich, dass er ein Stasimann ist, auch wir werden angesteckt vom allgemeinen Misstrauen, der ewigen Unsicherheit über die Absichten und Identitäten der anderen. So gelingt es Petzold, in nur wenigen, prägnanten Momenten ein wesentliches Element des diktatorischen, totalitären Systems greifbar, erfahrbar zu machen: Traue niemandem, und zwar wirklich niemandem! Barbara hat aber noch ein zweites Gesicht, und zwar das der höchst kompetenten und hingebungsvollen Ärztin, das auch immer wieder zum Vorschein kommt, und auf dieser Ebene findet sie langsam eine Nähe zu Andre. Gerade in ihrem Engagement für Stella oder einen gefährlich verunfallten Jungen wird deutlich, dass sie schon einen Platz im Staate innehaben könnte, wären da nicht der ewige Gesinnungsterror und die Schnüffeleien. Ihre Beziehung zum Wessi Jörg wirkt genau so lange glaubwürdig, bis er ihr stolz verkündet, drüben in der freien Welt brauche sie nicht mehr zu arbeiten, da er genug für sie beide verdiene. Vom Ende her rückwärts betrachtet könnte man diese Äußerung, auf die sie mit sichtbarem Befremden reagiert, schon als einen bedeutsamen Bruch werten, denn eins ist klar – die Arbeit ist ihr extrem wichtig, macht einen großen Teil ihrer Identität aus, und die Rolle als Hausmütterchen ist für eine Frau wie sie absolut unvorstellbar. Natürlich gibt Barbara am Ende keine Auskunft, weshalb sie sich gegen Jörg und für Andre (oder was auch immer) entscheidet, das würde auch nicht zu ihr passen. Dem Zuschauer bleibt wie immer bei Petzold sehr viel Raum für eigene Interpretationen und Gedanken, und wie immer bei Petzold gefällt mir diese etwas geheimnisvolle Offenheit sehr gut. Ein vollendeter Geschichtenerzähler und Bildgestalter, zeichnet er mit sehr sparsamen Mitteln unter Verzicht auf gängige Klischees ein Abbild der alten DDR, und wer schon mal in der Gegend da oben war, wird vieles davon sofort wiedererkennen. Es kommt ihm weniger auf eine korrekte Ausstattung an, als vielmehr auf eine authentische Atmosphäre, ein präzise eingefangenes Gefühl, und dies gelingt ihm einmal mehr bravourös und ganz unaufdringlich. Politisches und persönliches werden überzeugend und nahtlos vermischt (weil sich diese beiden Bereiche unter diesen Umständen sowieso niemals trennen ließen), und in Barbaras wachsamem, vorsichtigem Blick ist viel von unserer eigenen Unsicherheit, wem wir hier trauen könnten oder würden. Denn obwohl Andre nach außen wie ein echt sympathischer Knuddelbär wirkt, kann sich hinter ihm wie hinter jedem anderen ein IM verbergen, der Vertrauen nur deshalb gewinnen möchte, um es schließlich zu missbrauchen. Andererseits liegt hinter der allmählichen Annäherung der beiden auch eine Liebesgeschichte, oder wenigstens die Möglichkeit zu einer solchen, und irgendwie fiebert man auch ein bisschen, ob sich Barbara am Schluss traut, wo man längst schon erkannt hat, dass ihr doch einiges am Kollegen und an der Arbeit im Krankenhaus am Rande der Welt liegt.
Barbara ist eine Rolle wie für Nina Hoss geschrieben, und einmal mehr gestaltet sie sie auf bewunderungswürdige Weise, passt einfach perfekt zu Petzolds Konzept, stets ein wenig distanziert, mysteriös, manchmal auch hart und abweisend, und wie immer wartet der Zuschauer auf jedes kleine Zeichen, auf jede kleine Regung, und sogar schon die Andeutung eines Lächelns löst ungleich stärkere Reaktionen aus als euphorisches Dauergrinsen bei anderen Schauspielerinnen. Durch ihre andauernde und sehr intensive Arbeit mit Petzold hat man manchmal den Eindruck, Nina Hoss sei langsam auf diesen Typ festgelegt, und auch ich ertappe mich dabei, sie in Filmen anderer Regisseure automatisch an diesen Kriterien zu messen. Vielleicht unfair, dennoch spiel Nina Hoss gerade in Petzolds Filmen stets ihre besten Rollen, so wie auch hier in dieser meisterhaften, in jeder Hinsicht sehr eindrucksvollen Erzählung. (26.3.)