Chico & Rita von Tono Errando, Javier Mariscal, Fernando Trueba. Spanien/ England, 2010

   Eine exotische Romanze aus den 40ern und 50ern, die Geschichte einer großen Liebe, die sich nach vielen, Jahrzehnte überdauernden Umwegen und Trennungen erst im hohen Alter erfüllt – das wäre als Realfilm heute kaum noch zeitgemäß, als Trickfilm hingegen funktioniert’s prächtig. Eine prächtige Hommage an eine vergangene, verblühte Epoche, an die hohe Zeit des Afro-kubanischen Jazz, an ein Havanna, das es längst nicht mehr gibt, an ein NYC, das schon damals ein Fixpunkt der internationalen Musikszene war, und natürlich eine Hommage an die totale, leidenschaftliche und zugleich immer auch zerstörerische Liebe.

   Chico trifft Rita, und es funkt sofort. Chico ist Pianist, Rita Sängerin, und man schreibt das Jahr 1948. Havanna brodelt, glitzert und pulsiert im Rhythmus der angesagten Bands, die reichen Yankees amüsieren sich in ihrem privaten Hinterhof mit den schwarzen Chicas, die Yankeeladies lassen sich von schwarzen Hombres amüsieren, und gemeinsam sorgen die Yankees dafür, dass die Schwarzen fein säuberlich auf Abstand bleiben. Rita kriegt bald ein Angebot eines Produzenten aus den Staaten, und als Chico sich ein paar arg unglückliche Eskapaden leistet, ist sie auf und davon im Big Apple. Chico folgt ihr, kehrt jedoch nach ein paar Jahren unverrichteter Dinge zurück auf die Insel. Die hat mittlerweile ihr Gesicht gewandelt, denn eine Revolution hat stattgefunden, und Jazz ist plötzlich geächtet und die Musik des dekadenten Kapitalismus. Immer wieder kreuzen sich Chicos und Ritas Wege, und fast hätten sie sich in Las Vegas vermählt, doch ausgerechnet der beste Freund verrät Chico, und die beiden sehen sich erst Jahrzehnte später wieder – er hat sie nie vergessen und sie hat immer auf ihn gewartet, und nun sieht es so aus, als sei ihnen nichts und niemand mehr im Wege.

   Dies ist keine glatt konsumierbare Pixelware aus den US-Labors, dies ist anders. Die Bilder atmen Jazz, sie transportieren Hitze, Farben, Erotik, Sehnsucht und Verzweiflung, sie lassen das alte Havanna ebenso auferstehen wie das New York der frühen 50er, sie erinnern mich manchmal an die wunderbaren Bilder von Raoul Dufy und mal als Coverzeichnungen alter Jazz-Platten, und diese Assoziationen sind sicherlich auch so gewollt. Die Kraft der Liebe erscheint ebenso vital wie die Kraft der Musik, die Körpersignale sind auf das wesentliche reduziert, die leuchtenden Augen brennen von der Leinwand, die Musik schmachtet oder macht richtig Dampf. Wer sich auf diese etwas ungewohnte, faszinierende Bilderwelt einlässt, wird auf eine verlockende, berückende Reise geschickt, eine Reise, die man sicherlich auf großer Leinwand genießen sollte, denn nur so entfaltet sich der Sog der Farben zu voller Wirkung. Und wie schon gesagt, eine andere Komponente kommt noch hinzu, denn der Film nimmt sehr klar Stellung zu dem Rassismus, den die Amis damals auch auf Kuba lebten, die Art und Weise, wie sie sich des exotischen Flairs der Leute regelrecht bedienten und sie dennoch wie Menschen zweiter Klasse qualifizierten. Diese brutale Kolonialistenattitüde wird in wenigen, dafür aber prägnanten Szenen vorgeführt und später dann der nicht weniger restriktiven und totalitären Haltung der Revolutionäre Fidels gegenüber gestellt, die nicht weniger intolerant und brutal gegen andersartige, vermeintlich feindliche Kulturformen vorgingen. So ergibt sich im langgestreckten Rahmen der Geschichte von Chico und Rita zugleich eine Geschichte der Beziehung Kubas zu den USA, und diese Dimension gibt er Geschichte sehr häufig eine zusätzliche tragische Note.

 

   Animierte Filme können schon sehr reizvoll sein, vor allem, wenn sie sich vom allzu ausgelatschten Kommerzpfad entfernen und eigene, erwachsene Wege gehen. Ich wundere mich manchmal fast, dass diese Möglichkeiten nicht viel häufiger genutzt werden – aber wenn, dann kommt schon bemerkenswertes dabei raus, so wie diesmal. (31.8.)