Au cul du loup (Das Haus auf Korsika) von Pierre Duculot. Belgien/Frankreich, 2011. Christelle Cornil, François Vincentelli, Roberto d’Orazio, Marijke Pinoy, Jean-Jacques Rausin, Pierre Nisse

   Wie schön, dass unmittelbar auf eine negative nun eine positive Überraschung folgt! Ich bin eigentlich (wie schon oft in diesem Jahr) mit arg gebremstem Schaum ins Kino gegangen, erwartete wenig mehr als eine erbauliche Selbstfindungsgeschichte vor „grandioser Naturkulisse“ (was man ja noch niiiie gesehen hat...), und fand mich achtzig Minuten später unerwartet bewegt und wirklich sehr angenehm berührt von einem Film, der sein beachtliches Kitsch- und Banalitätenpotential völlig unangetastet lässt und mit einer Mischung aus lakonischem Humor und ungekünstelt gefühlvollen Momenten überzeugt.

   Der Arsch der Welt des Originaltitels bezieht sich zwar auf das entlegene korsische Bergnest, in dem Christine überraschend ein Haus ihrer Oma erbt, man könnte ebenso gut aber von ihrem Heimatort sprechen, denn sie lebt dort, wo doch eigentlich keiner leben will, nämlich in Belgien, und schlimmer noch, in Charleroi, wo es außer tristen Industriebrachen und Arbeitslosigkeit rein gar nichts zu geben scheint. Auch Christine steckt in dieser Mühle der Aussichtslosigkeit, und nicht nur deshalb springt sie spontan auf den Gedanken an, das geerbte Haus nicht nur sehen, sondern vielleicht sogar behalten zu wollen. Und je mehr sich ihr Freund und zwei Familien ins Zeug legen und ihr den Plan ausreden wollen, desto hartnäckiger hält sie an ihm fest. Natürlich sind die Dinge in der Fremde alles andere als komfortabel oder unkompliziert, doch irgendwie gibt es für Christine auch wenig, das sie in Charleroi hält, und dann macht ihr ein netter Schäfer schöne Augen und sie bekommt bei der Renovierung des arg baufälligen Hauses unerwartet Hilfe vom Papa und ihrem Bruder. Und selbst wenn es mit dem Schäfer wohl doch nicht klappt und Paps einen Herzinfarkt erleidet, hat Christine am Schluss scheinbar ihren Platz in Omas Haus gefunden.

   Regisseur Duculot gibt sich sehr viel Mühe, sowohl das Milieu in der halbtoten Industriestadt als auch im halb verlassenen korsischen Hochland glaubhaft und präzise zu zeichnen, und da ihm dies anhand knapper, einprägsamer Szenen exzellent gelingt und er ansonsten die drohenden Klischeefallen souverän umschifft, hat die Geschichte genug Substanz, und die erwähnte Knappheit sorgt zudem dafür, dass es keinerlei Längen gibt, dass nichts unnötig ausgewalzt wird, sogar die befürchteten „grandiosen Landschaftsaufnahmen“ (die es natürlich gibt) fallen angenehm dezent und unaufdringlich aus. Diese beiden Vokabeln treffen sowieso auf den Film im ganzen zu, der sich streckenweise verschmitzt witzig und schlagfertig gibt, wenn beispielsweise die gänzlich ortsfremde Großstädterin erste Kontakte mit Land und Leuten aufnehmen muss, dann aber auch wieder Zeit und Raum zum Atmen hat, wenn Christine draußen in den bewegen endlich zur Ruhe kommt und Zeit findet, über ihre weiteren Schritte nachzudenken und auch ihrer eigenen Familiengeschichte nachzuspüren. Oma und Opa, beide italienische Immigranten auf Korsika, haben offenbar einiges erlebt, und an dieser Stell empfand ich die Kürze des Films ein einziges Mal sich als nachteilig, denn über diese Geschichte hätte ich gern mehr gehört. Christines Vater ist einer von vielen italienischen Einwanderern, die in der Stahlindustrie von Charleroi beschäftigt waren, doch das Leben der Großeltern bleibt leider etwas zu diffus.

 

   Abgesehen davon aber ist dies eine höchst geglückte Mischung aus Poesie und Gefühl, pointiert inszeniert, sehr schön gefilmt, und herausragend gespielt von Christelle Cornil, die eine ganz fabelhafte Hauptfigur abgibt, eben weil sie keine Stromlinienheldin ist, sondern angenehm spröde und etwas eigenwillig, genau die richtige Darstellerin für diesen Film. Klar gibt es hier einen gewissen Wohlfühlfaktor, in diesem Fall aber kann ich bestens damit leben, weil das Drumherum gelungen ist. Und Korsika, tja, wäre schon mal eine Reise wert.... (21.8.)