Le cochon de Gaza (Das Schwein von Gaza) von Sylvain Estibal. Frankreich/BRD/Belgien, 2011. Sasson Gabai, Baya Belal, Myriam Tekaia, Gassan Abbas, Khalifa Natour, Lotfi Abdelli
Dies besagte Schwein, genau gesagt ein struppiges, gemütliches vietnamesisches Hausschwein, geht eines Tages dem verarmten Fischer Jafaar ins Netz und löst damit eine Welle skurriler bis grotesker Ereignisse aus, die sich vor allem um Jafaars Versuche drehen, den seltenen Fund irgendwie zu Geld zu machen. Das scheint im muslimischen Teil Gazas ein Ding der Unmöglichkeit, da Schweine dort halt als unrein gelten und tabu sind, das ist aber auch bei den von Stacheldrahtzaun umringten jüdischen Siedlern schwierig genug, immerhin aber kommt er mit einer jungen Russin ins Geschäft, die sich zunächst allerdings nur für den Samen des Tiers interessiert. Jafaars Unternehmungen in dieser Richtung können nicht beschrieben, sie müssen unbedingt gesehen werden, gehören aber zu den witzigsten des Films. Parallel dazu läuft das Leben mit seiner Frau in einer ärmlichen Behausung, auf deren Dach sich zu ihrem ständigen Ärger ein paar israelische Besatzungssoldaten breit gemacht haben. Sie durchschaut seine hilflosen kleinen Lügen natürlich, mit denen er versucht, seine vollkommene Erfolglosigkeit und ständige Geldnot irgendwie zu kaschieren, ab und zu aber geraten sie in solche Bedrängnis, dass ihre Existenz akut gefährdet ist. Ablenkung bieten ihr brasilianische Telenovelas, bei denen ihr seit einiger Zeit einer der Soldaten eifrig Gesellschaft leistet – ein Geheimnis, das sie sich herausnimmt. Jafaar gerät bald in einen unkontrollierbaren Strudel, als ein Haufen mehr als dubioser palästinensischer Extremisten ihn schnappt und zu einem Märtyrer und Selbstmordattentäter machen will, zur Strafe für den Versuch, mit dem Feind Geschäfte zu machen. Natürlich geht das Projekt komplett in die Hose, und niemand kommt ernsthaft zu Schaden. Jafaar kann mit seiner Ehefrau und der Russin auf seinem Boot fliehen, und nach kurzer Irrfahrt landen sie wieder daheim, wo er sich plötzlich einer merkwürdigen Popularität erfreut.
Es gibt ja schon ein paar Filme aus der Region, die versuchen, den grausamen Wahnwitz der Lage irgendwie einzufangen, und die sich häufig einer Mischung aus verzweifeltem Humor und bitterem Ernst bedienen. Anders geht es vermutlich auch nicht, wenn man das Publikum nicht mit einer Tragödie überschütten und total einschüchtern möchte. Diese Geschichte ist nicht wesentlich anders gelagert, vielleicht ein wenig mehr in Richtung auf Humor, doch immer wieder schwingt die Realität mit, das Leben im Gazastreifen, die Grenzen, die Zäune, die allgegenwärtige Präsenz des Militärs, die Angst, die Bedrohung, das Misstrauen und der Hass. Jafaar hat gerade für die letztgenannten Dinge überhaupt kein Talent, er ist harmlos, friedlich, ein liebenswerter Narr, der von den Ereignissen, die ihn jäh überfluten, total überfordert wird und lediglich versuchen kann, mithilfe seiner Instinkte zu überleben. Dass ihm dies letztlich gelingt, ist sicherlich nicht sein Verdienst, sondern hängt mit einer Verkettung von Zufällen und Unfällen zusammen, die er nicht beeinflussen, die er lediglich irgendwie überstehen kann. Wie alle anderen auch ist er nur eine kleine Figur in einem grausamen Spiel aus Wahnsinn, Fanatismus und Gewalt.
Für Zuschauer gibt’s reichlich Stoff für Heiterkeit, die dann aber gelegentlich mal im sprichwörtlichen Hals stecken bleibt. Jafaars Erlebnisse mögen für sich genommen komisch und zunehmend irrwitzig sein, doch liegt ihnen eben eine Geschichte zugrunde, die alles andere als komisch ist (irrwitzig ist sie allerdings auf ihre Art auch) und die im Falle von Gaza für ein Leben sorgt, das von Armut, Existenznot und der ständigen personifizierten Bedrohung durch die Soldaten geprägt wird. Einer wie Jafaar kann sich nur gerade so durchschlagen, wird von allen Seiten ein bisschen gegängelt und getriezt, hat wenig richtige Freunde, eigentlich nur seine Frau. Ab und zu gelingt ihm eine süße kleine Rache (wie etwa an dem jungen Soldaten, der unbedingt seine „Medizin“ beschlagnahmen und kosten muss...), und mithilfe seiner Bauernschläue und einer großen Portion Glück kommt er irgendwie durch, ein trauriger Clown in einer verrückten, kranken Welt (und von Sasson Gabai übrigens ganz wunderbar verkörpert). Eine Komödie also mit sehr viel Unterbau und Tiefgang, mal verschmitzt, mal ziemlich schwarz, mal so absurd wie die Welt, in der sie sich abspielt. Ich mag solche Filme ungemein (vom Balkan gibt’s auch ein paar in dieser Art) und habe folglich auch diesen sehr genossen, weil er sich einfach so sehr abhebt vom seichten, beliebigen und banalen Comedyeinerlei, das die Bildschirm normalerweise beherrscht. (5.9.)