The Hobbit – An unexpected journey (Der Hobbit – eine unerwartete Reise) von Peter Jackson. Neuseeland/England/USA, 2012. Martin Freeman, Ian McKellen, Richard Armitage, Ken Stott, Graham McTavish, Aidan Turner, James Nesbitt, Andy Serkis, Sylvester McCoy, John Callen, Peter Hambleton, Hugo Weaving, Christopher Lee, Cate Blanchett, Ian Holm, Elijah Wood
Nach mehr als einem Jahrzehnt heißt es also: Willkommen zurück in Mittelerde! Das ist eine gute Nachricht, jedenfalls für mich, denn zum einen hat die Ring-Trilogie auch nach mehrfachem Wiedersehen nichts von ihrer Faszination verloren, und zum anderen schien die Verfilmung des „Kleinen Hobbit“, des Vorgängerromans also, eine völlig folgerichtige Sache zu sein. Eine Sache, die lang und breit schon durch die Medien gegeistert ist, doch nun denke ich, kann man das ganze schlagzeilensüchtige Tohubawohu um Personalien, um die Frage nach dem Umfang der Verfilmung und auch die HFR-Technik getrost für den Moment vergessen und das reale Ergebnis auf der Leinwand begutachten - und dies habe ich ganz bewusst nicht in 3-D getan!
Zunächst mal ist der Ausgangspunkt optimal: Ein seit vielen Jahren und Filmen eingespieltes Team (Regie, Drehbuch, Kamera), eine Technikcrew mit anscheinend grenzenlosem, bestens erprobtem Know-how plus zehn weiteren Jahren an technischem Fortschritt, dazu zahlreiche bekannten Gesichter und Schauplätze – was sollte schon schief gehen?
Ich habe mich an meine Reaktion von vor knapp elf Jahren erinnert – damals war ich mit dem ersten Film auch noch nicht so ganz glücklich, der Langzweiteffekt stellte sich erst mit den Filmen zwei und drei ein, weshalb ich auch jetzt noch vorsichtig mit einer Beurteilung sein möchte. Das macht auch aus anderem anderen Grunde Sinn, denn dass Jackson, Fran Walsh und Philippa Boyens in wiederum drei Filmen wesentlich mehr im Sinn haben als nur eine akkurate Verfilmung des ersten Hobbit-Romans, ist schon klar, dass sie einige von Tolkiens an die Ring-Trilogie angefügte Anhänge mit einbeziehen wollen, hat man bereits überall lesen können, nur in welchem Unfang genau dies geschieht und wie schlüssig und überzeugend diese Idee umgesetzt wurde, wird man wohl erst nach dem dritten Film Mitte 2014 wissen. Immerhin sieht man in diesem ersten Teil schon das Bemühen, beide Filmreihen eng miteinander zu verzahnen, denn immer wieder spielt Jackson auf die Ring-Trilogie an, lässt sogar noch einmal Figuren auftauchen, die im Roman gar nicht erscheinen (zum Beispiel Frodo), und bietet sozusagen nachträglich Hintergründe und Erklärungen an, beispielsweise für das sehr gespannte Verhältnis zwischen Zwergen und Elben.
„Der kleine Hobbit“ hätte sich mit Sicherheit in einem langen Rutsch verfilmen lassen. Eine im Vergleich eher leichtgewichtige Abenteuergeschichte, die sich ursprünglich wohl an ein etwas anderes Lesepublikum gerichtet hatte. Von einem Jugendbuch ist häufig noch die Rede, und selbst wenn dies aus heutiger Sicht und mit Kenntnis den „Herrn der Ringe“ zu kurz gegriffen zu sein scheint, ist der Tonfall durchgehend viel weniger episch, ausladend und feierlich als großen Bruder. Diesem Umstand konnten die drei Drehbuchautoren hier offenbar nicht durchgehend Rechnung tragen. Zwischendurch spürt man immer wieder ihr Bemühen um comic relief, und die humorigen Einlagen sind im Vergleich zur Ring-Trilogie sicherlich ein wenig ausgeprägter, doch spätestens im nächsten Kampfgetümmel geht die Leichtigkeit wieder flöten, und so würde ich kaum von einem stringent durchgezogenen Konzept sprechen. Jackson lässt sich immerhin Zeit, uns wieder reinzuholen in Tolkiens mythische Welt, stellt die Hauptakteure ausführlich vor, und man findet schnell wieder Anschluss an das Miteinander verschiedener Völker und Kulturen in Mittelerde, cirka sechzig Jahre vor den Ereignissen aus der Ring-Trilogie. Und wenn’s dann erstmal auf die lange Reise gen Osten geht, ist das vertraute Gefühl schnell wieder da, der geniale Geschichtenerzähler Jackson ist wieder in seinem Element und überwältigt uns mit atemberaubenden Bildern und einer Fülle wilder Gestalten. Dass er dabei die Romanvorlage verändert und erweitert hat, ist solange kein Problem, wie er Tolkiens Absichten und Prioritäten treu bleibt. Allein bei dem weißen Ork Azog, der im Roman längst getötet worden war, habe ich meine Zweifel und fühlte mich zudem sehr an das Universum Guillermo del Toros erinnert, der ja ursprünglich als Regisseur vorgesehen worden war.
Und einen anderen Aspekt muss ich noch erwähnen, der dem Film zwar eigentlich gar nicht angelastet werden kann, über den ich aber beim Zuschauen irgendwie nicht hinweggekommen bin: Nichts ist hier neu, alles ist schon mal da gewesen. Die pure Verblüffung, das große Staunen über die nie zuvor gesehenen Welten, in die Jackson uns mit der ersten Trilogie entführte, wollte sich diesmal nicht bei mir einstellen. Denen, die die Ring-Trilogie nicht gesehen haben, wird es mit Sicherheit so ergehen, mir aber nicht, und damit fehlt natürlich eine ganz elementare Reaktion und Wirkung. Sogar Howard Shores Musik ist allzu vertraut, nimmt sie doch viele Motive aus dem Vorgänger wieder auf. Auch das erneute Erlebnis auf großer Leinwand konnte nicht verhindern, dass vieles für mich bekannt, geradezu erwartbar war. Der Fluch des Nachzüglers halt, sollte man wie gesagt nicht gegen ihn verwenden, kann ich aber in diesem Fall auch nicht total ignorieren.
Und sonst: Großartiges Handwerk, monumentale Panoramabilder, rasante Kämpfe (wenn auch mal wieder ein bisschen zu viel und zu ausgedehnt), berauschende Effekte, irrwitziges CG-Desing. Weniger war auch nicht zu erwarten! Und endlich erfahren wir, wie genau Bilbo zu dem Ring kam. Und wer Gimlis Papa war. Und dass Gandalf schon immer ein bisschen anders war als die anderen Zauberer. Der junge Bilbo übrigens wird von Martin Freeman kongenial verkörpert, ein Beispiel für perfektes Casting, der Mann hat genau das richtige Gesicht für die Rolle, ein anderer wäre in der Tat kaum denkbar gewesen. (Von Ian Holm, der noch mal kurz den alten Bilbo geben darf, natürlich ganz zu schweigen...) Ian McKellen ist wieder unverzichtbar mit seiner Ausstrahlung, und die meisten anderen Darsteller kommen hinter ihren dicken Masken bislang noch nicht recht zum Zuge, mit Ausnahme der bekannten Figuren, die sich hier ein Stelldichein geben (Saruman, Elrond, Galadriel).
Ich bleibe dabei – keine endgültige Wertung bis hierher, es heißt für mich abwarten und mich freuen auf die kommenden beiden Filme, und dann am Schluss das Resümee ziehen. Der Film ist spannend und überaus unterhaltsam, und so ist noch alles drin, gar keine Frage. Ob es noch mal ein solcher Erfolg wird wie beim Herrn der Ringe, wage ich mal ganz still und für mich zu bezweifeln, doch dies schien von vornherein kaum möglich gewesen zu sein. Wenn es Jackson gelingt, seiner Hobbit-Trilogie ein eigenständiges Gesicht zu geben, hat er sehr viel erreicht. Ich wünsche ihm das und mir wünsche ich weitere fünf kurzweilige, tolle Kinostunden mit den schrägen Vögeln aus Mittelerde. (23.12.)