Die Unsichtbare von Christian Schwochow. BRD, 2011. Stine Fischer Christensen, Ulrich Noethen, Ronald Zehrfeld, Dagmar Manzel, Christina Drechsler, Ulrich Mattes, Anna Maria Mühe
Der Titel weist auf Josefines lebenslanges Problem hin: Sie stand innerhalb der Familie hinter ihrer schwer behinderten kleinen Schwester zurück, stand also auch in der Gunst der sowieso ständig gestressten Mama nur an zweiter Stelle, und auch auf der Schauspielschule in Berlin ist sie eher ein graues Mäuschen, das so recht niemand wahrnimmt. Warum ihr der ebenso legendäre wie gefürchtete Kaspar Friedmann die Hauptrolle der Camille in seiner neuesten Theaterinszenierung anvertraut, kapiert niemand, am wenigsten sie selbst. Im folgenden versucht er, ihr sein Credo einzubläuen, dass wahre Kunst sich immer mit dem Leben überlagert und unbedingt mit viel Schmerz und tiefem Gefühl zu tun haben muss. Als introvertierte Außenseiterin muss sie hart an sich arbeiten, um zum Kern der Figur vorzudringen, so wie er es gern hätte. Dabei rührt sie nicht nur einiges in sich auf, sie geht auch gefährliche Wege, die sie fast zum Selbstmord treiben.
Klar denkt man an „Black Swan“, wenn man das liest und sieht, und einige Motive haben die beiden Filme deutlich gemeinsam: Die Unscheinbare, die plötzlich im Rampenlicht steht (nicht zu jedermanns Freude natürlich), die mehr als nur professionelle Beziehung zum Regisseur, der seinerseits ein querköpfiger, schwieriger Egozentriker ist, stets bereit, alle und jede für seine Ziele auszunutzen, das ungesunde Vertiefen in eine Kunstfigur, die zunehmende Verschmelzung der Rollen und Identitäten und natürlich auch das komplexe Verhältnis zur Mutter daheim, wobei in diesem Film die Schwester noch eine entscheidende Rolle spielt. Schwochow geht aber alles in allem weniger radikal zu Werke als Aronofsky, was „Black Swan“ sicherlich zu dem kraftvolleren, etwas spannenderen Film macht. „Die Unsichtbare“ ist eher ein sorgfältig abgerundete, für manchen Geschmack vielleicht schon zu abgerundete Psychostudie, denn am Ende bleiben wenig Geheimnisse oder offene Fragen übrig. Fine ist der Kunst oder dem Regisseur oder auch sich selbst zuliebe bis zum Äußersten gegangen, aber sie ist von dort zurückgekommen und hat sich entscheiden, nicht noch einmal so weit zu gehen, sondern von nun an die Kunst im Zaum zu halten und womöglich besser vom Leben zu trennen. Zuviel stand auf dem Spiel, nicht nur das eigene Leben, sondern auch das der Schwester, die sie im Zorn fast erstickt hätte, und die sich anbahnende Beziehung zum Nachbarn, einem netten Ingenieur, dem sie zunächst eine Rolle als Camille vorspielt, bevor sie sich mit ihrer wahren Identität zu erkennen gibt. Ihre Kämpfe mit Friedemann sind auch Kämpfe gegen sich selbst, Kämpfe gegen die eigenen Hemmungen und Blockaden, was unweigerlich dazu führt, dass ihre Ausbrüche besonders heftig und unkontrolliert werden, was den exzentrischen Regisseur begeistern mag, bei den Schauspielkollegen aber nur Befremden hervorruft. Ihre Reisen in die Nacht versteht sie missverständlicherweise als Reisen zu sich selbst, bevor sie spät erkennt, dass sie sich auf diesem Weg nicht finden wird. Aufgedonnert und mit platinblonder Perücke macht sie auf Vamp, rezitiert Camilles provozierende Statements, Friedemanns Vorgabe gehorchend, dass ein Schauspieler wenigstens einige Erfahrungen seiner Rollenfigur auch gemacht haben sollte. Dass diese Irrfahrt fast ins Unglück führt, war zu erwarten, allerdings geht’s nicht wie bei Aronofsky bis zum Tod, sondern Fine kriegt gerade noch die Kurve und kann sich fortan auch Friedemann gegenüber behaupten.
Die Theaterarbeit selbst bleibt vergleichsweise stark im Hintergrund, hier geht es eindeutig um die Person Fines und ihre Versuche, der Rolle und den Anforderungen des Regisseurs gegen alle beruflichen und privaten Hindernisse beizukommen. Insofern wird das Konzept ziemlich stringent durchgezogen, und so überzeugt der Film konzeptionell auch durch seine konzentrierte, eindringliche und atmosphärisch intensive Darstellung. Außerdem bietet er Schauspielkino von hohem Rang, vor allem Stine Fischer Christensen brilliert in einer komplexen und aufreibenden Rolle, findet aber in Leuten wie Noethen kongeniale Partner. Sicherlich geht „Black Swan“ weiter, wirkt etwas visionärer und mutiger - kraftvolles und dramatisches Kino aber bietet „Die Unsichtbare“ auf jeden Fall auch. (15.2.)