Die Wand von Julian Pölsler. Österreich/BRD, 2012. Martina Gedeck   

   Nochmal schwerer Stoff vor imposanter Naturkulisse, diesmal den österreichischen Alpen. Eine Frau allein mit sich und der Natur, weil sich urplötzlich eine unsichtbare Wand auftut, die sie daran hindert, die Ferienhütte in den Bergen zu verlassen und sie ausschließt von der übrigen Welt, in der alle Menschen plötzlich erstarrt zu sein scheinen. Zusammen mit einem Hund, einer Katze und einer Kuh richtet sie sich ein, völlig auf sich gestellt, lernt zu überleben, lernt schließlich auch, den Angriff eines unerwartet auftauchenden Mannes abzuwehren. Danach macht sie weiter wie zuvor, schreibt solange einen Bericht über ihre täglichen Erlebnisse und Empfindungen, bis das Papier ausgeht, dann ist der Film vorüber.

   Ein Film, der mit einer wirklich beeindruckenden Optik und einer gleichfalls präsenten Darstellerin aufwarten kann, der gegenüber dem Roman von Marlen Haushofer aber natürlich den einen entscheidenden Nachteil hat, das er nämlich Innenwelten mit filmischen Mitteln nicht adäquat auszudrücken vermag. Das Resultat ist fast unvermeidlich: Über weite Teile wird aus dem Off ein Text rezitiert, und wenn dieser Kunstgriff vielleicht für einige Momente hier und da sehr wirkungsvoll sein kann, so erregt er bei solch intensiver Nutzung schon den Verdacht, dem Filmemacher sie schlicht nichts anderes eingefallen, als eine bebilderte Literaturlesung anzubieten. Und so verhält es sich meiner Meinung hier auch – Pölsler lässt seine zahlreichen Kameraleute atemberaubende Impressionen im Wechsel der Jahreszeiten und Stimmungen komponieren, inhaltlich jedoch kommt reichlich wenig rüber. Seine Version bleibt in vielem hinter dem Roman zurück, verkürzt und verknappt ausgerechnet in jenen Bereichen, die wichtig gewesen wären und die vor allem der Protagonistin etwas mehr Profil gegeben hätten. Der Film wirkt auf die Dauer merkwürdig monoton und eindimensional, er präsentiert von Beginn an eine äußerst introvertierte, merkwürdig lethargische und eingetrübte Frau, die sich stoisch ans Überleben macht, die kein Anzeichen des Aufbegehrens zeigt, sich vielmehr in ihr Schicksal fügt und sich in sich selbst zurückzieht, doch gerade dort wird für uns wenig sichtbar. Scheinbar ohne größere Brüche und Schwierigkeiten wird aus der Städterin eine Frau, die von und mit der Natur zu leben versteht, die aber alles in allem nicht weiter kommt als bis zu der Erkenntnis, dass der Mensch ein destruktives, entfremdetes Lebewesen geworden ist, das längst verlernt hat, in Einklang mit sich und allen anderen Lebewesen zu existieren – oder so ähnlich. Keine sonderlich originelle Feststellung, wie ich finde, aber viel mehr wird hier tatsächlich nicht angeboten. Es entwickelt sich überhaupt keine Spannung, weder innerlich noch äußerlich, die lastende Stille, die sich im Kinosaal breit macht, ist in diesem Fall kein gutes Zeichen, sondern zeugt wohl eher von sich langsam aber sicher einschleichender Langeweile. Gedeck tut, was in ihren Kräften steht, doch einer derart leblosen und eindimensionalen Person kann sie beim besten Willen kein Leben verleihen, kann nicht verhindern, dass mir wenigstens ihr Schicksal am Schluss schlicht gleichgültig geworden war, so vage und distanziert erscheint sie als Mensch, so wenig Angriffspunkte für Mitfühlen oder Identifikation bietet sie. Und wenn das hier etwa intellektuelles Kino sein soll, in dem solche Dinge gar nicht gefragt sind, dann fehlt es andererseits an der Substanz, die uns bei der Stange halten soll. Als ernsthafter Beitrag zum Thema condition humaine bietet er sich jedenfalls nicht an.

 

   Wer also Futter fürs Auge braucht und ansonsten wenig dazu, der mag hier einen Versuch unternehmen und vielleicht die Tonspur weglassen, es sei denn, er hat Freude an ausgedehnten, modulationsarmen Monologen. Wer einen wirklich anregenden oder gar aufregenden Literaturfilm erhofft, sollte schon vorsichtiger sein, es sei denn, er hat sehr viel Freude an Martina Gedeck... (24.10.)