Skylab (Familientreffen mit Hindernissen) von Julie Delpy. Frankreich, 2011. Lou Alvarez, Julie Delpy, Eric Elmosnino, Aure Atika, Noémie Lvovsky, Bernadette Lafont, Emmanuelle Riva, Vincent Lacoste, Marc Ruchmann, Sophie Quinton, Valérie Bonneton, Denis Ménochet, Albert Delpy, Karin Viard

   Der Skylab des Originaltitels war es ( Version 4, um genau zu sein), der im Sommer des Herrn 1979 bedrohlich entgleist und unkontrolliert über dem Planeten kreiste und im Westen Frankreichs abzustürzen drohte. Just dort also, wo sich zu Omas Geburtstag die gesamte Familie der elfjährigen Albertine für einen Tag und eine Nacht zusammenrottete. Albertine erinnert sich, dass ihre Eltern, zwei links orientierte Schauspieler aus Paris, mit dieser apokalyptischen Gefahr sehr offen und intensiv umgingen und es fast geschafft hätten, ihre Umgebung damit anzustecken. Albertine erinnert sich aber auch noch ein sehr viele andere dinge, und um die geht es in den zwei Stunden, die nicht nur eine Zeitreise in ein fernes Jahrzehnt unternehmen, sondern uns auch eine Art von Selbsttest anbieten. Familie – ist das für dich eher Himmel oder Hölle oder vielleicht ein Mittelding aus beidem. Es kommt glaube ich sehr auf die Beantwortung dieser Frage an, wie man sich dem Film näher und wie man ihn empfindet. Und da ich selbst Teil einer verhältnismäßig unproblematischen und gut funktionierenden Familie bin, kann ich für meinen Teil nur sagen, dass ich diesen Film sehr entspannt und mit großem Genuss angesehen habe.

   Eine Menge Leute kommen da zusammen, drei bis vier Generationen für kurze Zeit auf einem Haufen, Omas, Großonkel, Onkel, Tanten, Kinder, Cousins, Cousinen, und was eine ganz normale Großfamilie noch so alles mit sich bringt. Omas Vergangenheit war offensichtlich recht bewegt – Kolonialleben in großem Stil drüben in Indochina, mehrere Männer und entsprechend viele Kinder, die nun ihrerseits mit ihren Familien anrücken, und das lauschige Anwesen bei St-Malo in einen wahren Bienenstock verwandeln. Die Kinder leben in ihrer eigenen Welt, die einen pubertieren heftig oder sind grad am Anfang, die anderen sind noch voll im Kindesalter und richten ihre Interessen entsprechend aus, die Alten leben auch in ihrer Welt, die naturgemäß nicht mehr ganz so unschuldig und überschaubar ist. Die unvermeidlichen Spannungen werden mühevoll unter der Decke gehalten, bis das Thema Politik doch noch auf den Tisch kommt - gegen Omas ausdrücklichen Wunsch, versteht sich – und die unversöhnlich verfeindeten Lager endlich die Hosen runterlassen können. Dazwischen geht’s um Eheleben, Midlife Crisis, den ganz gewöhnlichen tristen Alltag, ein bisschen Sex, ein bisschen Alberei, und für Albertine schlagen die Hormonwogen zum ersten Mal so richtig hoch, als sie sich am FKK-Strand in einen Jungen verguckt und ihn abends als DJ auf einer Dorffete wiedersieht. Nachts gibt’s dann eine Gruselgeschichte im Zelt, ein paar skurrile Ausraster drüben bei den Eltern, und am nächsten Morgen können alle zufrieden feststellen, dass sie die ganze Sache halbwegs anständig hinter sich gebracht haben. Zumal Skylab dann doch nicht über Westfrankreich, sondern ganz in der Nähe, nämlich über Australien runtergekommen ist.

   Anders als in ihrem fast zeitgleich laufenden „2 Days in New York“ verzichtet Julie Delpy diesmal glücklicherweise auf ihre bewusst übertriebenen Karikaturen, was nicht heißt, dass es hier nicht auch die eine oder andere ziemlich schräge Nummer gibt, doch ist der Ton insgesamt deutlich respekt- und liebevoller, der Ton von jemandem halt, der vielleicht selbst dabei war oder seiner eigenen Familie ein etwas verschlüsselteres Denkmal setzen will. Von Friede-Freude-Eierkuchen kann natürlich keine Rede sein, und zwischendurch bleibt einem das Lachen auch schon mal mitten im Hals stecken, vor allem wenn es um die Erwachsenen geht, deren Miteinander doch mit recht scharfem Blick unter die Lupe genommen wird. Ob das nun Omas nostalgische, doch ganz offen rassistische Ausführungen über die gute alte Zeit in Indochina sind, ein paar ziemlich rechtslastige Äußerungen zweier ihrer Söhne, die selbst Soldaten in Vietnam waren und von diesem Erlebnis nachhaltig geprägt wurden, ohne auf der anderen Seite die etwas hochnäsig anmutende Attitüde von Albertines Eltern, die als waschechte linke Alternative natürlich glauben, alle Lebensweisheit für sich allein gepachtet zu haben und ansonsten von Dummköpfen und unemanzipierten Weibern umgeben zu sein. Für letztere gibt’s dann allerdings auch ein paar Musterbeispiele mitsamt latent oder ach weniger latent gewalttätiger Ehemänner, und schon haben wir ein feines Universum ganz normaler mittelalterlicher Leute vor uns, Leute wie du und ich, in denen sich fast jeder Zuschauer an der einen oder anderen Stelle wiedererkennen wird. Diesem spitzzüngigen und an manchen Stellen durchaus unbequemen Generationsporträt stellt Delpy ihre Version von Kindheit gegenüber, die auch nicht in jedem Detail romantisch und unbeschwert aussieht, die aber dennoch für einige magische Momente sorgt, und die werden im Film auch ganz wunderbar eingefangen. Die Mischung aus Lausejungs, coolen Siebzehnjährigen und Mädchen auf halber Strecke sorgt für enorm viel Spaß und einige Augenblicke purer Schönheit, die nicht nur lustig sind, sondern sehr gefühlvoll tiefer ans Herz gehen. Getragen wird das Ganze von einem grandiosen Ensemble, vor allem die Kinder spielen hinreißend natürlich, und offenbar hatte Delpy ein besonders feines Händchen für die Arbeit mit ihnen.

 

   Dies ist natürlich ein Museumsstück aus der Abteilung „französischer Film“, aber Delpy hat es ja sowieso mit den Stereotypen, und wenn sie mit soviel Liebe und Herz zur Sache geht wie diesmal, kommt wirklich ein ganz großartiger Spaß dabei heraus, alles andere als ein seichter Familienfilm, sondern einer, der die vielen Untiefen nicht umschifft, sondern direkt drauf zuhält, und der es dennoch schafft, dass man am Schluss nicht total deprimiert das Kino verlässt, sondern im Gegenteil sehr beschwingt und aufgeräumt. Und ich musste mich dann noch den ganzen Abend mit einem Ohrwurm rumschlagen, der „Ballade des gens heureux“ nämlich, natürlich nicht geheult von Albert Delpy als verstörtem Großonkel, der mitten drin auch noch den Text vergisst. (9.8.)