Glück von Doris Dörrie. BRD, 2011. Alba Rohrwacher, Vinzenz Kiefer, Matthias Brandt, Oliver Naegele, Maren Kroymann, Christina Große
Glück, das ist hier ganz klar, will hart erkämpft werden und ist extrem brüchig. Zu Beginn erleben wir eine Glücksfantasie, die jäh in alptraumhafter Kriegsgewalt untergeht – die bukolische osteuropäische Landidylle wird von marodierenden Soldaten zerstört, die vergewaltigen und morden, und unsere Heldin Irina ist eines ihrer Opfer. Sie landet in Berlin als illegale Prostituierte, schwer traumatisiert, und dennoch fest entschlossen, ihren Traum vom Glück nicht aufzugeben. Sie lernt den obdachlosen Kalle kennen und lässt sich nach Anfangsschwierigkeiten auf einer Zweierkiste mit ihm ein. Zum zweiten Mal schwelgt die Geschichte in purem, beinahe „kleinbügerlichen“ Glück, das wiederum abrupt beendet wird, als Irinas Hauptfreier beim Koitus verstirbt und Kalle irrtümlich annimmt, sie habe den verhassten Fettsack umgebracht. Er zerstückelt und verbuddelt den Leichnam, bleibt jedoch nicht unentdeckt, und die beiden geraten in die Fänge der Justiz. Da tritt der gute Anwalt Leyden in Aktion und überzeugt die zickige Staatsanwältin davon, das kein „Unfug mit einem Leichnam“ vorliegt, sondern lediglich eine rührende Tat aus Liebe, und da die Dame selbst auch mal jung und verrückt war, lässt sie Irina und Kalle laufen und die dritte Glücksphase kann beginnen.
Ich bin kein Freund von Ferdinand von Schirachs weit und breit gefeierten Geschichtensammlungen, und wenn ich mir ansehe, wie selbstgefällig und gönnerhaft Matthias Brandt hier als Anwalt auftritt – also als von Schirachs alter ego – dann weiß ich auch sofort wieder, warum. Sein vermeintlich cooler, lakonischer Stil, der ja in so „reizvollem“ Kontrast zu den oft grotesken oder auch monströsen Geschichten steht, ist mir beim Lesen stets auf die Nerven gegangen, weswegen ich Doris Dörrie direkt dankbar war, dass im Film nicht viel davon übrig geblieben ist. Im Gegenteil – sie setzt auf Emotionen, und zwar so radikal und kompromisslos, dass man sich schon darauf einlassen muss, um den Film nicht fälschlich als blanken Kitsch abzumeiern. Dies ist eher ein Film über Kitsch und über eine durchaus kitschige und ganz elementare Sehnsucht nach Glück, die er völlig ernst nimmt und völlig ernsthaft bebildert. Ich hätte mir gewünscht, Dörrie wäre gerade in diesem Vorhaben nicht ganz so weit gegangen und hätte sich möglicherweise auf den Mittelteil beschränkt. Der Auftakt aus dem Bürgerkrieg irgendwo im Osten hätte ebenso gut später von Irina nacherzählt werden können, und der bräsige Flirt im Justizmilieu mitsamt der nichtssagenden Familienimpressionen der Leydens sind erst recht entbehrlich und passen auch nicht zum oben benannten Mittelteil, dem Herzstück des Films, der wirklich auch äußerst gut gelungen ist. Eine hochintensive Romanze mit tragischen wie komischen Einschlägen, eine faszinierende Frau, die sich strikt weigert, aufzugeben, die trotz aller Schmerzen und qualvollen Erinnerungen weiter macht, zäh und unbeirrbar hinarbeitet auf die Vision einer sicheren, glücklichen Existenz. Ganz pragmatisch baut sie den erst störrischen und unbeholfenen Kalle in dieses Bild mit ein, und gemeinsam bilden sie ein Paar, das man einfach lieben, für das man einfach hoffen muss, gerade weil sie eigentlich keine hochfliegenden, anmaßenden Wünsche haben, sondern schon mit ein bisschen Dekokitsch aus dem Ein-Euro-Shop zufrieden sind. Darin liegt auf Dörries Seite keinerlei Herablassung, im Gegenteil, sie ist ganz bei Irinas und Kalles, voller Hochachtung und Zuneigung, und erst als mit Leyden wieder eine ganz andere Perspektive eingezogen wird, ändert sich möglicherweise auch unser Blick auf das Liebespaar. Bis dahin aber bleibt der Blick gradlinig und konsistent – wer psychologisch fein ziselierte Charakterauslotungen sucht, der wird hier nicht fündig, und wer auf ironische Brechungen steht, ebenso wenig, denn Dörrie hält es nicht mit der leicht bornierten Distanz, die der Erzähler von Schirach pflegt, sie geht ganz nah und ganz direkt an Irina und Kalle heran und malt ihr Glück in den buntesten Farben aus, so wie sie ihr Unglück in drastischen Tableaus festhält. Wer darin bloße Spekulation wittert, irrt meiner Meinung nach, denn Glück und Unglück stehen hier gleichberechtigt beieinander, werden gleich intensiv erlebt und müssen folglich auch mit gleicher Wucht gefilmt werden.
Eine sperrige, manchmal fast provozierend krasse Liebesgeschichte, die einerseits von der fieberhaften Bildersprache lebt und andererseits von zwei Hauptdarstellern, die sich offenbar mit voller Identifikation und Körperlichkeit in das Projekt gestürzt und zwei wirklich eindrucksvolle, mitreißende Porträts liefern, vor allem Alba Rohrwacher als Irina ist grandios, zugleich ganz zart und auch ganz stark und zielstrebig. Wegen mir brauchen die jetzt nicht jede Story von Schirachs umzuarbeiten, Dörrie immerhin hat sie sich so zurechtgeformt, dass ein sehr wirkungsvoller, intensive und emotionaler Film daraus geworden ist, auch wenn im Kino zwischendurch die eine oder andere empörter Stimme laut wurde - vor allem, als das Elektromesser zum Einsatz kam... (4.3.)