Herr Wichmann aus der dritten Reihe von Andreas Dresen. BRD, 2012
Vor knapp zehn Jahren kämpfte der Herr Wichmann von der CDU noch (vergeblich) darum, im Brandenburgischen in den Bundestag einzuziehen und allgemein als Lokalpolitiker erst mal ein Bein an der Erde zu bekommen. Andreas Dresen beobachtete ihn dabei mit einer Mischung aus stillem Mitgefühl und gnadenloser Präzision. Nun sehen wir einen etablierten Landtagsabgeordneten, Familienvater, Christen und Patrioten, und nach wie vor leidenschaftlichen Politiker, der sich nach wie vor nicht zu schade ist, an der Basis und vor Ort zu arbeiten und richtig unters Volk zu gehen. Dresen schlägt einen Kreis, beginnt nach der Sommerpause und endet ein Jahr später, und wieder wird dem Herrn Wichmann zum Auftakt der neuen Sitzungsperiode ein Blumenstrauß überreicht, diesmal für den 33. Geburtstag. Dazwischen liegt ein Jahr im Wechsel der Jahreszeiten zwischen dem Landtag in Potsdam und der Maloche vor Ort in den flachen Weiten der Uckermark, liegt die Eröffnung von Herrn Wichmanns neuem Lokalbüro in Templin, liegen zahllose Orts- und Lokaltermine, liegt endloser Hickhack um verschiedenste Themen, und wie der Text im Nachspann herrlich süffisant feststellt, sind nach Ablauf eines Sitzungsjahres die allermeisten Probleme nicht gelöst worden. Ganz wie im richtigen Leben halt.
Ich kann nicht behaupten, der Film habe keine Längen. Aber irgendwie passt auch das - Lokalpolitik von Tag zu Tag hat todsicher auch etliche Längen, genau wie die endlos öden Landtagssitzungen, die erwachsenen Menschen die günstige Gelegenheit bieten, zurück ins Kindesalter zu fallen, auf den Hinterbänken zu tuscheln, zu kichern, garantiert nicht aufzupassen, abwesend die Hand zu heben, wenn alle anderen es tun, ab und zu schuldbewusst zu grinsen, und ein Stück Schokolade entscheiden interessanter zu finden als die Rede, die gerade da vorn vom Stapel läuft. Das ist Politik zum Abgewöhnen, Polemik um ihrer selbst willen, sehen und gesehen werden, Kumpel- und Machogesten, Fraktionszwang um jeden Preis und auf keinen Fall ein echtes Interesse an der Sache und einer konstruktiven, bürgerorientierten Lösung. Dresen muss nicht mehr tun, als die Kamera hinhalten, Wichmanns albernes Pennälergetue akkurat mit dem Mikro einfangen, und wenn der Film nur dieses zeigen würde, käme der Mann als ein ziemlich unsympathischer, nassforscher Jungparlamentarier rüber. Aber da ist eben noch die andere Seite, der Dresen gottseidank mehr Raum widmet, weil sie auch mehr hergibt, und die zeigt einen Vollblutpolitiker, der noch immer aus voller und oft auch naiver Überzeugung auf die Leute zugeht, mit ihnen ins Gespräch zu kommen versucht und auch den, wie ich finde ehrlichen, Anspruch formuliert, ihnen zuzuhören. Dass das nicht immer dankbar ist und dass sich der Herr Wichmanns mehr als einmal an einen anderen Ort weit weg wünscht, wird nicht verhehlt und ist hinter Wichmanns freundlicher, glatter Fassade schön klar sichtbar. Aber der Profi in ihm weiß, dass auch diese öden Nachmittage dazu gehören, das elend viele Autofahren, das Klinkenputzen in trister Walachai, die Stammtischparolen, das Gemecker und Gezeter der Bürger, die die Chance nutzen, ihrem Abgeordneten mal die Meinung zu geigen, oder auch das schwerfällige, zähe Schweigen, dem sich Wichmann genauso geduldig und langmütig aussetzt. Dann ist der Mann auf einmal doch wieder integer, und obwohl ich keinerlei Sympathien für die Politik oder Gesinnung seiner Partei hege, kommt dennoch etwas rüber. Wichmann löst wahrscheinlich kein einziges Problem, er bringt noch nicht mal Entscheidendes auf den Weg, aber er ist da, er stellt sich, er hört zu, so wie er es bereits vor zehn Jahren getan hat, und bleibt damit seinem festen Grundsatz treu, dass Politik wirklich ganz unten an der Basis stattfinden muss, weil genau da die Leute sind, die man erreichen, für die man arbeiten will und die einen natürlich auch wählen sollen. Und Dresen zeigt noch etwas anderes ganz deutlich, nämlich dass ein einfacher Angeordneter wie der Wichmann auch gar keine Chance hätte, irgendwas zu bewegen, denn er ist ein kleines Rädchen in einem hoffnungslos überfüllten und verfilzten System, das von Bürokraten und Lobbyisten so gestrickt wurde, dass auf keinen Fall irgendetwas auf die Schnelle geschehen kann und schon gar nicht gegen ihren Willen. In diesen Momenten der Hilflosigkeit und Ohnmacht erlebt Wichmann eine unfreiwillige Solidarisierung mit den Bürgern, denen es nicht anders geht, und in diesen Momenten wirkt sein betont forsches, selbstsicheres und von Tatendrang zeugendes Gehabe auch fast schon komisch, wenn auch sicherlich nicht gewollt. Auch hier verfährt Dresen nach dem ebenso bewährten wie noch immer unübertroffenen Rezept, dass die Wirklichkeit fast immer komischer und vielsagender ist als die Karikatur, weshalb er wieder nur dabei sein und die Kamera draufhalten muss und mehr nicht. Hört sich einfach an, ist aber in Wirklichkeit große Kunst. Immer wieder gelingt dadurch der rasche Blick auf die verräterische Geste oder das jungenhafte Feixen oder die ehrliche Verzweiflung oder auch die platte Ranschmeiße. Mal sind wir vom Herrn Wichmann eingenommen, mal ist er auch nur ein Hanswurst, der im strömenden Regen bei irgendeiner Rekrutenvereinigung laut die blöde Hymne mitsingt, und das auch noch mit voller Überzeugung.
Egal, dies ist, genau wie schon der erste Film, ein bemerkenswertes Projekt, ein scharfer, aber durchaus nicht denunziatorischer Blick auf deutsche Lokalpolitik und auch auf die Verhältnisse in ostdeutschen Landen, wo sich auch heute alles andere als blühende Landschaften zeigen, sondern gerade in der entlegenen Uckermark eine erschreckend strukturschwache und fortschrittsresistente Region. Und die Diskussionen sind irgendwie noch immer dieselben wie vor dreißig Jahren: Die einen wollen endlich mal den örtlichen Tourismus voranbringen und eine Radwanderstrecke von Berlin nach Usedom asphaltieren, die anderen sorgen sich um den Lebensraum der seltenen Schreiadler und spielen auf Boykott. Und so kommt es, dass nach der Sommerpause noch mehr oder weniger die gleichen Themen auf der Tagesordnung stehen wie davor. Genau wie im richtigen Leben! (17.9.)