Poulet aux prunes (Huhn mit Pflaumen) von Vincent Paronnaud und Marjane Satrapi. Frankreich, 2011. Mathieu Amalric, Maria de Medeiros, Edouard Baer, Golshifteh Farahani, Eric Caravaca, Isabella Rossellini, Didier Flamand, Serge Avédikian, Chiara Mastroianni, Jamel Debbouze
Vier Jahre nach ihrem virtuosen « Persepolis » haben Satrapi und Paronnaud, die beide eigentlich aus dem zeichnerischen Metier kommen, nun einen weiteren gemeinsamen Film gemacht, in Tonfall und Sujet ganz anders als der erste, dennoch nicht weniger attraktiv und erstaunlich. Und wer bereit ist, sich mal auf was ganz anderes einzulassen, wird auf jeden Fall mit einem buchstäblich wundersamen Kinoerlebnis belohnt.
Im Kern die tragische Geschichte einer unerfüllten Liebe, zweier ungelebter Leben, in der Erscheinungsform jedoch ein buntes, furioses Füllhorn verschiedener Motive und Stile. Wir sehen Anklänge an die Märchen aus 1001 Nacht, wir wähnen uns im iranischen Volkstheater, wir blicken zurück auf die musikalische Erziehung des Wundergeigers Nasser-Ali, der erst dann zur wahren Musik findet, als sein Herz gebrochen wurde, wir erleben einen chronischen Ehekrieg, Resultat einer Verbindung ohne Liebe, wir erleben seinen schleichenden Tod über acht Tage hinweg, nachdem die Gattin die Lieblingsgeige aus Wut und verzweifelter Eifersucht zerbrach und er keinen adäquaten Ersatz finden kann. Diese acht Tage sind geprägt von allerlei skurrilen Visionen, familiären Begegnungen und auch Lebenserinnerungen, beispielsweise an das schwierige Verhältnis zu seinem ihm stets vorgezogenen Bruder Abdi, an die große Liebe zu schönen Irâne, die daran scheitert, dass der strenge Papa der Verbindung zu einem brotlosen Künstler nicht die Zustimmung geben will und an die von Anfang an unglücksselige Ehe mit Faringuisse, der braven, brilletragenden Mathematiklehrerin, die ihn anhimmelt, für die er selbst aber kaum etwas empfindet und die er nur heiratet, weil die Mama ihn so unter Druck setzt. Erzählt wird das ganze vom Todesengel Azraël, der das menschliche Treiben mit amüsierter Gleichmut begleitet und selbst einen sehr witzigen Auftritt hat.
Entscheidend ist natürlich die Art und Weise, in der Satrapi und Paronnaud ihren Film gestalten, das Fabulieren, das Abweichen, das Ausschmücken, die optische und erzählerische Phantasie, die blitzschnellen Wechsel von burleskem Humor und tiefer Melancholie. Entscheidend ist für mich auch die unerhörte Freiheit, die entsteht, wenn man Realfilm mit animierten Sequenzen mischt. Gerade durch die Animation wird plötzlich alles möglich, eröffnen sich neue Perspektiven und Bewegungsräume, weil nicht nur der Bereich dessen, was man zeigen kann, viel größer wird, sondern auch die Bereitschaft des Publikums, dies zu tolerieren. Animationsfilme werden grundsätzlich anders rezipiert, eigenen sich auch besonders gut für subversive Töne, was sich die beiden Filmemacher schon in „Persepolis“ zunutze gemacht haben, und was auch „Huhn mit Pflaumen“ prägt. Das grundsätzlich Märchenhafte, Verspielte der Trickszenen und der allgemein betont künstlichen Szenerie wird konterkariert von einigen wenigen scharfen Einschüben zu politischen Themen (das Engagement des Kommunisten Abdi etwa oder die Attütide der versnobten, großbürgerlichen Frau Mama) und zahlreichen ironischen oder satirischen Überzeichnungen bis hin zu den Hauptpersonen. Der als Gatte und Vater ständig überforderte Nasser-Ali, der eigentlich gar kein Familienmensch ist, sondern ein ganz typischer, egozentrischer Künstler, die aus Frust übermäßig strenge und zickige Faringuisse, die hinreißend leidende Irâne, der böse Vater, der merkwürdige Händler und so weiter. Immer wieder kommt es zu amüsanten, überraschenden Szenen und Begegnungen, und gerade der ständige Wechsel des Tonfalls und zwischen den einzelnen Geschichten macht den Film so unterhaltsam und sehenswert.
Alles in allem wundervolles, phantasiereiches und höchst originelles Kino zum Genießen. (5.1.)