Les adieux à la reine (Leb wohl, meine Königin!) von Benoît Jacquot. Frankreich, 2012. Léa Seydoux, Diane Kruger, Virginie Ledoyen, Noémie Lvovsky, Julie-Marie Parmentier, Lolita Chammah, Vladimir Consigny, Michel Robin, Xavier Beauvois

   Die Französische Revolution mal anders – auf den ersten Blick nur ein weiterer Kostümfilm vor geschichtsbeladener Kulisse, bei näherem Hinsehen aber weitaus spannender, komplexer, interessanter. Aus der Perspektive der jungen Sidonie, die sich als Vorleserin ihrer geliebten Königen Marie Antoinette nähern darf, werden die chaotischen Tage im Juli 1789 geschildert, die ersten Berichte von Unruhen draußen in der Stadt, von erster rasender Gewalt gegen die Repräsentanten der verhassten Monarchie, die wachsende Panik in Versailles, Fluchtversuche, Selbstmorde, der Zerfall einer ganzen Ordnung, während draußen der Mob näher rückt, die Straßen und Städte kontrolliert und blutig Rache nimmt für Jahrhunderte der Unterjochung. Im Zentrum aber steht eine Dreiecksgeschichte – Marie Antoinettes Liebe zur Herzogin de Polignac, und wiederum Sidonies Liebe zur Königin. Sidonies Gefühle finden weder Beachtung noch werden sie erwidert, im Gegenteil wird sie von der Königin am Schluss als Köder benutzt, muss in de Polignacs Kleidern zusammen mit der Rivalin Paris in Richtung Grenze verlassen und notfalls auch den Kopf hinhalten, nur damit die Herzogin davonkommt. Der Film endet offen – die Kutsche fährt durch ein Land in Aufruhr, und Sidonie erkennt, dass sie, je weiter sie sich von ihrer Königin entfernt, auch sich selbst als Mensch immer mehr verliert, bis sie schließlich gar nichts mehr sein wird.

   Dieser ominöse Ausklang passt perfekt zu einem Film, der durch seinen eigenartigen, dunklen, hypnotischen Erzählfluss fasziniert und dem es fabelhaft gelingt, sowohl eine eindringliche Geschichte von erotischer Konkurrenz einerseits und vom Untergang einer Epoche andererseits zu erzählen. Jacquot bleibt dabei als Erzähler distanziert, fast kühl im Hintergrund, enthält sich jeglicher Polemik, erst recht jeglicher Melodramatik, vermeidet Prunk, zeigt im Gegenteil eine Prunkgesellschaft in völliger Auflösung – und zwar innerer wie äußerer –, lässt die Kamera nervös durch viele dunkle, höhlenartige Seitengänge im Riesenschloss gleiten und betont immer wieder den kammerspielartigen Charakter der Geschichte. Männer spielen hier eine untergeordnete Rolle, dies ist ein Frauenfilm, ein Drama zwischen drei bis vier Hauptpersonen, im Mittelpunkt Marie Antoinette, um sie herum die Frauen, die um ihre Aufmerksamkeit, ihre Liebe konkurrieren. Die mondäne, dekadente Herzogin de Polignac macht das Rennen, die ist eine langjährige Freundin und Vertraute der Königin und von gleichem Stand (und wohl auch gleicher Gesinnung), während die junge Sidonie und ihre deutlich ältere Kollegin Mme Campan eher versuchen müssen, sich unentbehrlich zu machen, um ab und zu ein Krümelchen königlicher Zuneigung zu ergattern. Beide tragen miteinander natürlich auch ein Duell aus, wen die Königin bevorzugt, auf wen sie eher hört, wessen Rat sie sucht. Eine der Schlüsselszenen des Films konfrontiert Mme Campan mit der ernüchternde Einsicht, dass sie allein aufgrund ihres Alters nicht mit der schönen Sidonie mithalten kann, die ihre starke erotische Ausstrahlung immer wieder kalkuliert einzusetzen versucht, umso mehr als die Königin selbst ihr anvertraut, dass sie ein andere Frau begehrt, also nicht auf heterosexuelle Beziehungen festgelegt ist. In einer weiteren Schlüsselszenen lässt sich Sidonie das Kleid der Herzogin anziehen, wohl wissend, dass sie sich damit großer Lebensgefahr aussetzen wird, aber auch wissend, dass sie der von der Königin geliebten Frau so wenigstens einmal annähernd entsprechen kann. Meistens aber sind beide darauf angewiesen, versteckt oder von fern zu beobachten, zu lauschen, zu begehren, und beide geben sich mit ihrer ganzen Person in diese Abhängigkeit, weshalb es nur folgerichtig erscheint, dass Sidonie ohne die Nähe zu Marie Antoinette nicht wird leben können. Bemerkenswert dabei ist auch, dass Sidonies Liebe zur Königin vollkommen bedingungslos und unkritisch ist und auch von den Ereignissen um sie herum zu keiner Zeit beeinflusst wird – fast eine Art amour fou, essentiell, stark, blind für alles um sie herum.

 

   All dies vor dem Hintergrund der sich anbahnenden Revolution und der Reaktion innerhalb der Schlossmauern: Die alten Machthaber geraten ins Wanken, der wütende Pöbel drängt draußen vor der Tür, erste Köpfe sind bereits gerollt und eine lange Liste geht in der Stadt herum, der Adel rotiert, der Klerus bangt und barmt, große und kleine Höflinge tuscheln und debattieren hektisch und der König reist nach Paris, obwohl er weiß, dass die Situation dort bestenfalls ungewiss ist, aber eben auch in dem Wissen, dass sein gesamtes Ansehen auf dem Spiel steht, wenn er sich in dieser Lage verstecken würde. Marie Antoinette erscheint abwechselnd als zerbrechliche, schutzlose, einsame Frau, dann wieder als herrisches Biest, als launische, egozentrische Herrscherin, die die Menschen um sich herum wie Marionetten nach Lust und Laune bewegt. Anders als bei Sofia Coppola wird hier nicht versucht, so etwas wie Mitgefühl für eine gefangene, gelangweilte junge Frau zu erwecken. Jacquot geht auch hier auf Distanz, bewahrt einen klaren, abwägenden Blick, und sorgt vor allem mit dieser Haltung dafür, dass diese Film sich doch deutlich von thematisch vergleichbaren Historienfilmen unterscheidet. Ein brillant gefilmtes und besetztes Drama mit einigen vorzüglichen Charakterdarstellungen im Mittelpunkt und einer Dramaturgie, die ihre Höhepunkte nicht ausstellt, vielmehr ein Mitdenken seitens des Publikums voraussetzt. Mal wieder Stoff für die Birne, das tut auch mal gut zwischendrin. (12.6.)