Oh Boy von Jan Ole Gerster. BRD, 2012. Tom Schilling, Friederike Kempter, Marc Hosemann, Justus von Dohnányi, Michael Gwisdek, Ulrich Noethen, Andreas Schröders, Katharina Schüttler

   Ein Tag im Leben von Niko: Morgens trennt er sich von seiner Freundin, und los geht’s auf eine schräge Odyssee durch Berlin voller Begegnungen mit skurrilen Leuten und Situationen. Niko ist ein rechter Schluffi, Studium abgebrochen, noch immer an Papas Geldsäckel hängend, noch immer keinen eigenen Weg gefunden, ein netter Kerl, der niemanden vor den Kopf stoßen will und der deshalb sehr viele sehr eigenartige Momente zu überstehen hat. Vom Idiotentest über U-Bahnkontrolle, einem äußerst zudringlichen neuen Nachbarn, Wiedersehen mit einem Mädchen aus der Schule, Off-Theater-Performance, Treff mit dem Herrn Papa im Golfclub und schließlich einer kurze Bekanntschaft in einer Kneipe, die leider mit dem Tod des älteren Herren endet und Niko ernüchtert in den Berliner Morgen entlässt. Nun kriegt er auch endlich seinen Kaffee, nachdem das den ganzen letzten Tag über aus den verschiedensten Gründen nicht geklappt hatte, und ein weiterer Tag geht los.

   Nicht gerade alltägliches junges deutsches Kino, eine Großstadtballade gekleidet in Jazz und fantastische Schwarzweißbilder. Die allein lohnen das Kommen schon und sind vor allem auf der großen Leinwand ein echter Genuss, aber auch so hat der Film seine Qualitäten. Der Reigen, den Niko an einem einzigen Tag durchläuft, ist natürlich stilisiert und häufig ironisch überspitzt, doch die Erzählung hat einen sehr angenehmen, entspannten Fluss, der die Menschen und Augenblicke einfach so kommen und wieder gehen lässt, egal ob das nun völlig schräge Typen waren oder die hinreißend blonde Schulkollegin Julika, einst fett und Opfer der ganzen Jahrgangsstufe, nun schlank und schön und von allen begehrt, eigentlich aber noch immer gefangen von dem Jugendtrauma. Auch Niko lässt sich mit diesem Fluss treiben, ein charmanter, manchmal auch hilfloser Flaneur, dessen Geldkarte verschluckt wird, der sich vom Psychologen beim Idiotentest verarschen lassen muss, der sich vom Papa demütigen lassen muss, der sich vom Nachbarn zutexten lassen muss, der vor wildgewordenen Kontrolleuren fliehen muss, der sich Julikas Annäherungsversuch erwehren muss und der sich noch einiges andere gefallen lassen muss, weil er halt so ist wie er ist. Ein liebenswerter, netter Kerl auf der Suche nach einem Weg in die Zukunft, ein verschlafener Tragträumer, den man manchmal gern in den Hintern treten würde und der in Tom Schilling den idealen Darsteller hat. Um ihn herum gruppieren sich die anderen, die ihn begleiten, treffen, wieder verlassen und die zumeist schön pointiert geschrieben und sämtlich ausgezeichnet gespielt werden. Um ihn herum gruppiert sich vor allem auch die Stadt, monströs und betriebsam bei Tag und Nacht, nur in den frühen Morgenstunden plötzlich ganz still und wie leergeputzt, eine Stadt, mal tröstend und heimelig, mal fremd, schroff und abweisend, ein Ort, an dem einer wie Niko arg zu kämpfen hat und zwar gegen fast alles und jeden. Lebenstüchtigkeit will hier erst mal unter Beweis gestellt werden, und mit ihm strampeln und paddeln viele andere auch, manch unterstützt von Betäubungsmitteln, andere mit Hilfe von Gewalt und ganz viele, indem sie sich jemanden suchen, der auf der Leiter noch unter ihnen steht und an dem sie alles auslassen können. Auch wenn einige der Bilder durchaus bestechend ästhetisch sind, ist Berlin hier alles andere als ein romantischer Ort, weder schick noch kultig, zumal der Protagonist eben kein souveräner Held ist, der unter sich die Dächer der Stadt und ihre glitzernden Straßen sieht. Als Zuschauer schwankt man zwischen Amüsiertheit, fröhlichem Kichern und oft auch leichter Beklemmung, die gelegentlich einer tieferen Melancholie weicht, und auch diesen ständigen Stimmungswechsel vollzieht der Film ganz nebenbei und immer schön fließend und dahinzockelnd im Rhythmus des lauschigen Jazz.

 

   Alle Tage sieht man so was nicht, und wenn, muss man es wie gesagt unbedingt im Kino sehen, allein schon wegen des seltenen Genusses dieser herrlichen Schwarzweißbilder. Und wenn’s nach mir geht, müsste dieser Genuss auch nicht gar so selten sein... (12.11.)