On the Road von Walter Salles. Frankreich/England/Brasilien/USA, 2012.  Sam Riley, Garrett Hedlund, Kristen Stewart, Kirsten Dunst, Tom Sturridge, Amy Adams, Viggo Mortensen, Alice Braga, Elizabeth Moss, Steve Buscemi

   Der Film kann an sich gar nix dafür, aber trotzdem: Er kommt zu spät, und zwar reichlich! Die 50er sind vorbei, die 60er sind vorbei, die 70er auch und auch die farblosen Jahrzehnte danach, längst schon leben wir im neuen Jahrtausend und vieles von dem, was einst aufrührte, aneckte, provozierte und sonstwie bewegte, scheint uns heute nicht viel mehr als ein hübsches Stückchen Nostalgie zu sein. Mensch, was hatten die damals noch für Träume! Oder: Weißt du noch, so wollten wir auch sein... Oder: Kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, dass der Kärruäck mal so ne große Nummer war damals...

   Solches hatte Kerouac todsicher niemals im Sinn, und Salles wohl auch nicht, also begnügt man sich wohl damit, das Projekt als eines der persönlichen Neigung zu sehen und nicht als den Versuch, irgendeine Aussage oder Substanz aus einem mittlerweile ziemlich weit entfernten Universum ins Hier und Jetzt zu transportieren, denn das, um es mal deutlich zu sagen, ist hier auch nicht gelungen. Der Film hat ohne Frage seine Stärken, und ich habe ihm gern zwei Stunden lang zugesehen, aber er kann mir nicht mehr vermitteln, welche Sprengkraft, welchen Einfluss, welche Auswirkungen Kerouacs Beatnik-Epos vor gut fünfzig Jahren hatte. Oder welche Relevanz es heute haben mag, auch wenn ich daran mal zweifeln würde.

   Immerhin – eine gewisse Kraft und Faszination steckt noch immer in dem Motiv, um das Buch und Film kreisen, auch wenn die natürlich äußerst gebrochen und zwiespältig ist. Dean Moriarty als Inbegriff des lebenshungrigen, charismatischen, egozentrischen, auch einsamen und traurigen, rastlos Reisenden, der maßlos und gierig Sex, Drogen, Menschen und Musik konsumiert, der die Kerze buchstäblich an zwei Enden anzündet, der gern mit dem Tod flirtet, dem nichts wirklich ernst ist, besser gesagt der erst zu spät herausfindet, was ihm wirklich ernst ist, und dann ist es zu spät. Ihm gegenüber Sal Paradise, der frankokanadische Schriftsteller aus New York, der immer ein wenig daneben stehen bleibt und dem Freund zusieht, mal fasziniert, mal neidisch, mal abgestoßen, mal ängstlich, der einmal zuviel von Dean im Stich gelassen wird und schließlich den Weg nicht mehr zurück findet zu ihm, höchstens in seinem Roman, in dem er von kaum etwas anderem spricht als von seinen Abenteuern. Zwischen 1947 und 51 ist man also on the road, mal NYC, mal Denver, mal Kalifornien, mal Louisiana und der ganze gewaltige Raum dazwischen, die Bibel des Roadmovies sozusagen, Unterwegssein als Lebenszweck und zugleich Symbol der ewigen Suche, manchmal auch der Flucht oder der Orientierungslosigkeit. Anfänglich versucht Salles sich noch ein bisschen in Zeitgeschichte und zeigt Sals Reise in Begleitung vieler Wanderarbeiter, die der Ernte und der Baumwollpflückerei nachziehen, unermüdliche Nomaden in der Nachkriegszeit, die für viele eine sehr harte und notleidende Zeit war. In den großen Städten stürzt man sich bis zur Besinnungslosigkeit ins Vergnügen, erfindet irre neue Tänze, der Jazz kocht auf höchster Flamme und bewusstseinerweiternde Substanzen werden in wahnwitzigen Dosen verzehrt. Dean und Sal mit ihrer Clique sind mittendrin, und zwischendurch brechen sie immer wieder auf nach irgendwo, um dann wieder zurück zu kehren, immer so weiter, bis zur sprichwörtlichen Erschöpfung. Auf den Wegen jede Menge Begegnungen mit schrägen Menschen – sehr trefflich verkörpert von einigen exquisiten Darstellern -, und immer ist es eher Dean, der voranprescht und erlebt, während Sal eher zusieht und schreibt. Ein Mädchen gibt es, das die beiden länger begleitet, und es fast schafft, den spröden Sal in eine Liebesgeschichte hinein zu ziehen, doch bevor es soweit kommt, ist auch sie schon wieder unterwegs.

   Salles ist ein kraftvoller Regisseur, der Geschichten erzählen kann, und er erzeugt hier auch eine insgesamt sehr dichte, intensive Stimmung. Die Hauptdarsteller finde ich ganz ausgezeichnet und in manchen Momenten kommt etwas von der fiebrigen Hitze des Jazz durch, der alles in den Hintergrund drängenden Gier nach Leben, Liebe, Sex. Dennoch bleibt dies ein Film, der in seine Zeit gehört und nicht darüber hinaus weist. Wäre er beispielsweise in den 60ern entstanden, hätte man gut nachvollziehen können, wie Aufbruch und Rebellion schon angelegt waren in den Gedanken und Ideen der Beatniks, wie explosiv die Kraft der Musik sein kann, wie verlockend und zugleich zerstörerisch die Experimente mit Drogen aller Sorte sein können. Alles Themen, die uns heute nicht mehr jucken, weil wir alles bereits im Übermaß konsumiert und bei Bedarf noch einen Kult draus gemacht haben. Sex ist längst Kommerzware geworden (und alles andere als frei), Musik zum Hintergrundgeräusch ohne breitere soziale oder politische Relevanz, und Drogen werden abwechselnd öffentlich geächtet und in den Chemielabors in immer neuen Varianten produziert, und sind auch gern Gegenstand blutiger Kriege. Wer also einfach eine gut und mitreißend erzählte und gespielte Geschichte von jungen Leuten im Lebensrausch sehen möchte, kann hier nichts falsch machen. Wer tatsächlich noch Interesse an den Beatniks hat, greift am besten zu den Büchern, denn Salles’ Film kann dem nichts hinzufügen. Hätte der bekloppte Coppola den Film gleich vor fünfunddreißig Jahren gemacht, als er die Rechte gekauft hatte, wäre das vielleicht noch anders gewesen. Heute ist einfach nur viel zuviel Zeit drüber gefahren und die Beatniks sind Stoff von gestern. (17.10