Schilf von Claudia Lehmann. BRD, 2011. Mark Waschke, Bernadette Heerwagen, Stipe Erceg, Sandra Borgmann, Nicolas Treichel
Wie ein Plakat doch täuschen kann – da dachte ich bei der Vorankündigung, beim flüchtigen Hinsehen, es handele sich bei „Schilf“ offenbar um eine Liebeskomödie der leichten Sorte (mit der süßen Bernadette Heerwagen immerhin), und dann entpuppt sich das Ding als bierernstes Mysterydrama, das natürlich alles andere ist als leicht und locker. Mark Waschke hat’s echt nicht leicht – letztes Jahr musste er mehrmals eine Zeitschleife durchlaufen und immer wieder die große Liebe treffen und ihr nachlaufen (in „Fenster zum Sommer“), diesmal verstrickt er sich als eigenbrötlerischer und genialer Physiker in seiner eigenen Theorie von der Existenz von Paralleluniversen, und zwar so arg, dass niemand am Schluss mehr weiß, was nun eigentlich wirklich passiert ist. Wir sehen anfangs zwei beste Kumpel, die gemeinsam jede noch so schwierige Rechnung und Formel meistern, und deren Wege später nach und nach auseinander driften, als der eine, Sebastian, in Jena eine Familie gründet und sich völlig dem Studium der Parallelwelten überlässt, während der andere, Oskar, in die Schweiz geht und sich offenbar eher handfesteren Projekten widmet. Eifersucht und der verzweifelte Kampf um eine langsam aber sicher zerfließende Freundschaft, die Oskar offenbar sehr viel mehr bedeutet als Sebastian, führen dann zu Ereignissen, die in Sebastians zunehmend überforderter und verwirrter Wahrnehmung katastrophale Dimensionen annehmen und ihn vor allem vom Rest der Welt gründlich entfremden. Sodass der finale, von Sebastians vermeintlichem Mordopfer gesprochene Satz, dass alles gut werde, nur mit äußerster Skepsis gehört werden sollte.
Die Idee eines Forschers, dessen besessene Arbeit ihn letztlich den Kontakt zur „realen“ Umwelt verlieren lässt, ist wohl kaum neu, aber immer wieder reizvoll, und wenn es diesmal um Experimentalphysik geht, die sich um wirklich aufregende Ideenkonstrukte dreht, kann man mit recht einiges erwarten. Ich muss sagen, dass der Film durchaus seine Vorzüge hat - er ist exzellent fotografiert und inszeniert, wie ich finde, zwischendurch äußerst spannend und effektvoll, und verfügt über eine attraktive Besetzung, die auch sehr gut agiert. Was nicht ganz so gut gelingt, ist die Umsetzung der Grundidee, ganz einfach weil die Zeit fehlt. In knappen neunzig Minuten kommt die Essenz von Sebastians Forschungen deutlich zu kurz, weswegen einige der Plot Twists zwar knifflig, aber auch etwas unverständlich wirken, und man als Zuschauer gar keine Wahl hat, als alles einfach darauf zu schieben, dass Sebastian schlichtweg den Boden unter den Füßen verliert. Diese Erklärung ist okay, im ganzen aber viel zu simpel, und der Film hätte eine bessere verdient, zumal die Story auch einige sehr schöne und haarsträubende Szenarien dafür bereithält. Gleichfalls fehlt die Zeit, um die Nebenfiguren angemessener zu skizzieren. Die bleiben zumeist unscharf, flüchtig, was auch angesichts so guter Leute wie Heerwagen oder Borgmann mehr als schade ist. Hätte Regisseurin Claudia Lehmann (oder meinetwegen auch die Produzenten) den Schneid gehabt, sich hundertprozentig auf die schräge Fantasie des Romans einzulassen, wäre womöglich Außerordentliches dabei rausgekommen. So ist es aber „nur“ ein recht ungewöhnlicher und interessanter Unterhaltungsthriller geworden, der vielleicht zuviel von seiner möglichen Substanz an das standardisierte deutsche TV-Format hat abtreten müssen. (15.3.)