Take Shelter von Jeff Nichols. USA, 2011. Michael Shannon, Jessica Chastain, Tova Stewart, Shea Wigham, Katy Mixon, Natasha Randall, Ron Kennard

   Visionen der Apokalypse, der großen Flutwelle, des mörderischen Meteoriten, des alles vernichtenden Erdbebens oder auch der ultimativen Atomkatastrophe scheinen an eine menschliche Urangst zu rühren, und ich merke, dass auch ich mich nicht ganz frei machen kann davon. Sehr genau erinnere ich mich noch an den sehr intensiven und durchaus beängstigenden Eindruck, den Lars von Trier mit seinem Finale von „Melancholia“ erzeugt hat, auch wenn der Verstand etwas anderes sagt und weiß, doch das Bild des riesigen Planeten, der auf die Erde prallt, wird mir nicht so rasch aus dem Kopf gehen, was auch immer es in mir angestoßen haben mag. Hollywood hat mit dieser Angst immer gern Kasse gemacht, Katastrophenfilme hat’s auch in den letzten Jahren mit schöner Regelmäßigkeit gegeben, einige ernst zu nehmende und wesentlich düsterere Visionen waren auch dabei, immer aber ging es in erster Linie um das Ereignis an sich bzw. seine Folgen. „Take Shelter“ nimmt schon deshalb eine Ausnahmestellung ein (höchstens „Melancholia“ geht in die gleiche Richtung), als hier die Katastrophe ganz am Ende steht (wenn überhaupt) und keineswegs Mittelpunkt der Geschichte ist. Dort steht die Angst vor dem großen Sturm und das, was sie aus den Menschen macht.

   Curtis wird verfolgt, geplagt, gepeinigt von Schreckensbildern, vor allem nachts. Ein Sturm braut sich zusammen, die vertrauten Menschen seiner Umgebung werden plötzlich bedrohlich, aggressiv, sein Hund greift ihn an, Vogelschwärme rasen über den Himmel, tote Vögel klatschen auf die Erde, es regnet eine ölige, braune Brühe. Curtis ist Familienvater, Bauarbeiter irgendwo im Nirgendwo im Mittelwesten in einem kleinen Provinznest mit Nachbarn, Kollegen und allem, was so dazu gehört. Er kann seine Probleme nicht lang verbergen, die Veränderung, die mit ihm vorgeht, ist bald nicht mehr zu übersehen, vor allem seine Frau Samantha verlangt vehement nach einer Erklärung. Therapie und Tabletten sind zunächst wenig hilfreich, genau wie ein Besuch bei der Mutter, die in einer Einrichtung für psychisch Kranke lebt. Stattdessen droht Curtis mehr und mehr den Boden unter den Füßen zu verlieren: Für sehr viel Geld erneuert er den Sturmschutzbunker im Garten, entfremdet sich von Freunden und Familie, gibt den geliebten Hund weg und verliert schließlich sogar seinen Job. Samantha kämpft verzweifelt um ihn und die Ehe, und gerade als sie in einer dramatischen Nacht gemeinsam ein Unwetter durchgestanden haben und wieder Vertrauen gefasst zu haben scheint, kommt sie doch noch, die große Welle.

   Oder? Ebenso gut könnte auch dieses letzte Ereignis nur eine weitere Vision von Curtis sein, nur dass die Atmosphäre diesmal weniger beängstigend ist, da die Familie zusammen ist und an sich alles in Ordnung. So erscheint das sich auftürmende Meer zwar als finale Naturgewalt, doch ist Curtis diesmal nicht mehr allein, die drei sehen ihr gemeinsam entgegen, und das ist ein entscheidender Unterschied zu all den vorangegangen Alpträumen und macht selbst das Ende erträglich. Ein äußerst eindrucksvolle und bedrückende Psychostudie, in jeder Hinsicht brillant gestaltet, die sich vom herkömmlichen Effektkino Hollywood meilenweit abhebt. Curtis’ zermürbende Zerrissenheit zwischen Arbeits- und Familienalltag einerseits und den fürchterlichen Träumen andererseits, sein Ringen um Fassung und auch sein unbeirrbarer Entschluss, alles für die Rettung der Familie zu tun, werden mit enormer Intensität geschildert, von Michael Shannon großartig interpretiert, vor allem in seinen verzweifelten Bemühungen, die Fassung zu bewahren und den Kontakt zur Umwelt nicht gänzlich zu verlieren. Das Schicksal der schizophrenen Mutter schwebt wie ein Damoklesschwert über ihm, kaum weniger belastend als die drohend zusammengeballten Sturmwolken, die immer wieder über dem eintönigen Mittelwesten erscheinen, von niemandem wahrgenommen außer von ihm. Und obwohl er ahnt, dass er möglicherweise nur fantasiert, arbeitete er besessen an dem Schutzbunker, auch wenn es ihn den Job kostet und auch wenn das Geld eigentlich für eine Operation der gehörlosen Tochter gedacht war.

 

   Der Film ist sehr ruhig und konzentriert erzählt, widmet sich ausführlich der Schilderung des eher kleinbürgerlichen ländlichen Milieus und seiner Bewohner, und besticht durch eine enorm intensive Atmosphäre. Man kann die Gewitterluft förmlich riechen, die stickige Hitze, kann das erste Donnergrollen in der Ferne hören, meint die eigentümliche Unruhe zu empfinden, mit der das kommende Unwetter erwartet wird. Es geht hier nicht darum, ob Curtis mit seinen Befürchtungen am Ende recht behält, es geht darum, wie die Angst und die Alpträume ihn beherrschen, ihn förmlich verschlingen, ihn körperlich und psychisch peinigen, und wie zentral wichtig es ist, dass er mit dieser Situation nicht allein fertig werden muss. So rückt die Beziehung zwischen ihm und Samantha zunehmend in den Mittelpunkt, was auch Jessica Chastain Gelegenheit gibt, nach „The tree of life“ eine weitere starke Darstellung einer kämpferischen Frau und Mutter zu geben, mit anderen Vorzeichen natürlich, und dieser Film ist sowieso besser. Eine wirklich beeindruckende Produktion abseits des Mainstream und eine Freude für einen Apokalyptiker wie mich, der meistens glaubt, im US-Kino regiere ausschließlich der blanke Kommerz. Filme wie dieser beweisen, dass es die sprichwörtlichen Nischen noch immer gibt. (3.4.)