The Angels’ Share von Ken Loach. England/Frankreich, 2012. Paul Brannigan, Siobhan Reilly, John Henshaw, Gary Maitland, William Ruane, Roger Allan, Jasmin Riggins

   Eigentlich sollte man diesem Herren endlich mal ein Denkmal setzen – und zwar nicht in dem Sinne, dass er damit totgesagt wäre! Oder wenigstens die Schotten sollten es tun, denn ihnen und ihrem Land hat er mittlerweile schon mehrere seiner Filme gewidmet, so auch dieses wunderschöne neue Werk. Einmal mehr versteht es Loach wie kein anderer Filmemacher, soziale Realitäten und einen starken Sinn für Ideale oder auch Utopien so zu verbinden, dass eben kein naiver Kitsch dabei rauskommt, auch wenn ihm dies gern und häufig vorgehalten wird. Ich pfeif auf diese Kritik, mir geht bei „The angels’ share“ ganz offen gesagt das Herz auf (oder was immer Jungs an dieser Stelle haben...), ich finde Loachs Blick auf Land und Leute genauso großartig wie seinen (zumeist) unerschütterlichen Glauben daran, dass fast jeder wenigstens einmal die Chance hat, das Ruder herumzuwerfen und einen neuen, besseren Kurs einzuschlagen. Ausnahmen wie der verzweifelt düstere „Sweet sixteen“ bestätigen diese Regel.

   Robbie ist so einer, der genau das dringend nötig hat, anfänglich ein Bruder im Geiste von Liam aus „Sweet sixteen“. Stammt aus einem Slum in Glasgow, hat seit frühester Jugend nur Scheiße gebaut und sich zum notorischen Schläger emporgearbeitet, und würde todsicher so weitermachen und für viele Jahre im Knast verschwinden, wenn nicht seine Freundin Leonie kurz vor der Entbindung stände und ihm klarmachte, dass er sich entweder schleunigst ändert oder sein Kind nie sehen wird. Der Richter hat denn auch ein Einsehen, verurteilt ihn nur zu 30 Sozialstunden, und damit fängt seine Wandlung an. Obwohl die Schatten der Vergangenheit ihn ab und zu noch immer heimsuchen, fixiert sich Robbie auf das Ziel, seinem Sohn ein guter Vater zu werden. Harry, der die Delinquenten beaufsichtigt, unterstützt Robbie, ermutigt ihn, seinem Vorsatz zu folgen. Er organisiert mit seiner kleinen Gruppe einen Ausflug zu einer Whiskydestillerie, und dabei entdeckt Robbie seine ungewöhnliche gute Nase für Aromen und Sorten, was ihm die Aufmerksamkeit eines Whiskykenners und die Einladugn zu eienr Verkostung in der Nähe Edinburghs einbringt. Dort entsteht die Idee zu einem außergewöhnlichen Coup, mit dem Robbie seine kaputte Vergangenheit ein für allemal hinter sich lasen will: Er und drei seiner schrägen Mitstreiter aus der Sozialstundengruppe wollen mehrere Flaschen des teuersten und seltensten Whiskys abfüllen (in alte Irn-Bru-Flaschen!) und lukrativ verkaufen. Trotz einiger Holprigkeiten und monströser Ungeschicklichkeiten geht die Aktion erfolgreich über die Bühne, und Robbie macht sich mitsamt seiner Familie davon, um in Stirling mit einem neuen Job ein neues Lebens anzufangen.

 

   Raue Milieuschilderungen treffen auf Szenen burlesker Komik, zwischendurch ein paar tiefernste Momente, und wenn’s an den teuren Whisky geht, kommt sogar gehörige Spannung auf. Drehbuch und Regie arbeiten wie gewohnt gut zusammen (Laverty und Loach sind halt ein eingespieltes Team, viel besser übrigens als Laverty und Iciar Bollain früher im Jahr), genauso gut wie der Regisseur mit seinen Darstellern, die wie häufig weitgehend Laien sind und entwaffnend authentisch spielen. Der Film ist glänzend erzählt, präzise und unterhaltsam zugleich. Ein paar kurze Zusammenschnitte verschiedener Gerichtsverhandlungen reichen aus, um das ganze Spektrum sozialer Verwahrlosung und Kriminalisierung zu umreißen, mit dem Robbie und seinesgleichen zu tun haben: Kindheit, Alkohol, Prügel, Drogen, Arbeitslosigkeit und so weiter. Erst Opfer, später dann Täter. Ist nicht neu, das alles, aber noch immer wahr, auf jeden Fall in den Vierteln, aus dem Typen wie Robbie oder Mo oder Rhino stammen. Geboren als Loser werden sie aller Wahrscheinlichkeit nach auch Loser bleiben, und so ist Loachs Film auch eine große Geste, indem er einmal zeigt, wie diese fatalistische Unausweichlichkeit durchbrochen wird. Dazu gehört feste Entschlossenheit, aber auch ein bisschen Druck und Hilfe von außen, denn wenn einerseits Leonie mit ihrem entschlossenen Insistieren und andererseits Harry mit seiner handfesten Hilfe nicht da gewesen wären, hätte es Robbie wohl nicht geschafft. Loach erdet seine etwas märchenhafte Geschichte dabei so tief und fest im schottischen Alltag, dass wenigstens bei mir nie der Eindruck aufkam, er verharmlose die Verhältnisse, im Gegenteil, sein Blick auf das triste Glasgower Viertel und Robbies Schwierigkeiten, dem endlosen Kreislauf der Gewalt zu entkommen, ist streckenweise durchaus hart und hat mit Sozialromantik (ein weiterer häufiger Vorwurf gegen Loach) wenig zu tun. Nur weil ein Film mit einem vermeintlichen Happy End ausklingt, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass er keinen klaren Blick auf die Verhältnisse hat. Den hat Loach stets gehabt, und dabei gleichzeitig seinen Idealismus und Optimismus nicht verleugnet. Genau das macht ihn zu einem so großartigen Filmemacher, und das macht „The Angels’ Share“ zu einem großartigen Film. Also: Irgendwo da oben in Bonnie Scotland wird doch ein Plätzchen frei sein, um dem Mann endlich die Würdigung zuteil werden zu lassen, die er weißgott verdient...? (30.10.)