The Descendants von Alexander Payne. USA, 2011. George Clooney, Shailene Woodley, Amara Miller, Nick Krause, Robert Forster, Beau Bridges, Jane Greer, Matthew Lillard
Matt Kings Stimme im Off nimmt die Quintessenz des Films praktisch vorweg: Wer immer glaubt, auf Hawaii sei das Leben irgendwie leichter, nur weil es dort wie im Paradies ausschaut, der täuscht sich gewaltig und ist verrückt. Leben auf Hawaii geht genauso schwer wie überall sonst auch, wie Familien dort sind genauso kaputt, der Kummer genauso tief. Wofür im folgenden der Beweis angetreten wird: Mutter King hat einen schweren Bootsunfall und liegt mit Kopfverletzungen im Koma. Schlimm genug. Ihr Zustand erweist sich bald als so schlecht, dass die Ärzte darauf drängen, die Maschinen abzuschalten, um der Natur ihren Lauf zu lassen. Noch schlimmer. Papa Matt muss sich währenddessen mit einer zehnjährigen (Scottie) und einer siebzehnjährigen Tochter (Alex) rumschlagen und erfährt, dass er erstens gar nicht weiß, wie das geht, und zweitens jede Menge verpasst hat, was die eigenen Kinder angeht, ihre Persönlichkeiten, Gefühle und Interessen. Noch schlimmer also. Dann beraubt ihn die verbitterte Alex endgültig aller Illusionen, als sie ihrem entgeisterten Vater eröffnet, das Mom seit längerem eine Affäre hatte und sogar plante, ihn zu verlassen. Noch viel schlimmer. Und ganz nebenbei ist Matt noch intensiv damit beschäftigt, sich als Anwalt darum zu kümmern, was mit dem riesigen, sauteuren Familiengrundstück geschehen soll, sprich welcher Käufer für welche Summe den Zuschlag kriegt. Die zahlreichen Cousins warten in Lauerstellung, eigentlich scheint schon alles geritzt, da erfährt Matt, das ausgerechnet sein Nebenbuhler von einem Verkauf profitieren würde, woraufhin er seine Entscheidung gründlich revidiert und für gelinde gesagt sehr viel Unmut in der Verwandtschaft sorgt. Auch keine Kleinigkeit also.
Matt King tritt als kleiner Held des Alltags auf, so wie es Millionen von ihnen gibt. Ehemann, Vater, Nachbar, Freund, Berufsmensch, jede einzelne Rolle fordert unablässig ihren Tribut, mal lassen sie sich halbwegs unter einen Hut kriegen, im Grunde aber geht das nur, wenn eine zugunsten einer anderen zurück tritt. So wie Matt jahrelang den Vater vernachlässigt, um im Beruf zu reüssieren, und so wie er es nun genau umgekehrt macht. Dieser Film zeigt auf wunderbare Weise, wie man ganz viele ganz schwere Themen aufeinander häufen und trotzdem fast noch leicht daherzukommen. Mit einer extrem ausgewogenen Mischung aus Gefühl, Ernsthaftigkeit und Humor geht Alexander Payne ans Werk und erweist sich einmal mehr als ein Regisseur, der sich besonders gut auf die Beobachtung von Menschen versteht und sich ihnen sowohl mitfühlend als auch ironisch zu nähern. Das verzweifelte Strampeln des streckenweise hoffnungslos überforderten Matt, die anfänglich aggressiv verbitterte Abwehrhaltung von Alex, der griesgrämige, herrische Schwiegervater, die leutseligen, dann aber auch schnell unleidlichen Cousins, der ängstliche Nebenbuhler und seine Ehefrau, der am Ende ein Licht aufgeht, sie alle kommen zu ihrem Recht, sie alle werden als farbige, lebendige Personen vorgestellt (auch wenn Matt deutlich im Mittelpunkt steht), und sie alle werden als Personen vorgestellt, die dazu gezwungen sind, miteinander in Beziehung zu treten, auch wenn dies nicht immer leicht ist. Familie ist Arbeit, Liebe ist Arbeit, Ehe sowieso, und Matt arbeitet wie ein Irrer in den knapp zwei Stunden hier, solange immerhin, bis er den Respekt seiner beiden Töchter gewonnen hat, vor allem den von Alex, die sich von einer bissigen Zicke zu einer Riesenstütze entwickelt, die Verantwortung übernimmt für die kleinere Schwester, auch für den Vater, die ihn ab und zu mal anstupst, wenn er das braucht, die im Gegenzug ihn aber auch braucht, um den eigenen Kummer über all die Versäumnisse der zerstrittenen Mutter gegenüber zu verarbeiten. In all den vielen Gesprächen und Begegnungen steckt ganz viel drin, das Drehbuch ist ein Musterbeispiel für Ökonomie, Präzision und Effizienz, für Charme und viel Gefühl. Ein Plädoyer natürlich für die Kraft einer Familie, sich zu besinnen, sich zusammen zu raufen, und zusammen durch alle Schwierigkeiten hindurchzugehen, weil nur so es geht – wenn es so einfach wäre...!
Abgesehen also von dieser schönen, von einem tollen Ensemble vorgetragenen Familiengeschichte, besticht der Film durch sein Setting, denn Hawaii ist natürlich eine Attraktion für sich, und in „The Descendants“ wird dafür gesorgt, dass sehr viel Hawaii im Bild zu sehen ist. Letztlich geht es ja auch noch um Dinge wie Kultur, Traditionen, Wurzeln, und indem sich Matt so entscheidet, wie er es letztlich tut, setzt er ein klares Zeichen gegen den willkürlichen Ausverkauf von Kultur und Geschichte und für das Bewahren selbiger. Viele einheimische Familien hätten ihr Land verloren oder wären verdrängt worden von monströs wuchernden Touristenprojekten, die aus der Gegend irgendein beliebiges und anonymes Resort gemacht hätten. Das Erbe der Vorfahren wäre verhökert worden an Spekulanten und Gewinnler, die für solche Sachen sicherlich keinerlei Sinn gehabt hätten. Wie Payne auch diesen komplexen Handlungsstrang noch in die übrige Story integriert, ohne diese zu überfrachten, ist schon sehr gekonnt und überzeugend. So wie der gesamte Film, der mich amüsiert, bewegt und beeindruckt hat, vor allem natürlich durch die gigantische Kollektion herrlichster Hawaiihemden, die man sich nur vorstellen kann... (8.2.)