Kongen av Bastøy (The King of Devil’s Island) von Marius Holst. Norwegen/Finnland/Polen/Schweden, 2011. Benjamin Helstad, Trond Nilssen, Kristoffer Joner, Stellan Skarsgård, Magnus Langlete, Morten Løvstad
Der einmal mehr total beknackte Deutschtitel schielt vermutlich schon jetzt auf die Videotheken und suggeriert irgendeinen schundigen Horrorkram, hat aber natürlich gar nix mit dem real existierenden Film zu tun. Der bietet nämlich inmitten all des momentan dominierenden Wohlfühltums vornehmlich aus mollig warmen Gefilden ein echtes Alternativprogramm: Endlich mal wieder so ein richtig nordisches Drama – rau, grimmig, kalt und garantiert höchst ungemütlich und todernst. Düster, packend und bei alledem auch noch sehr gefühlsintensiv. Wer lieber die Flucht sucht vom heimischen Schmuddelklima, geht am besten nach nebenan zu der neuesten französischen Komödie, wer’s aber zur Abwechslung mal wuchtig und herb braucht, kann sich ruhigen Gewissen für zwei Stunden häuslich niederlassen und sich danach dann wieder an der Bielefelder Abendsonne erfreuen. Denn von Sonne kann in diesem Film keine Rede sein.
Die kleine Insel Bastøy im Oslofjord südlich der Hauptstadt gelegen beherbergt auch heute noch ein Gefängnis, das im Internet mit seinem fortschrittlichen und liberalen Konzept prahlt. Vor hundert Jahren allerdings war davon noch nichts zu spüren, als es dort nämlich noch eine Einrichtung für straffällige Jugendliche gab und Begriffe wie „Humanität“ oder „Liberalismus“ im Wörterbuch der Direktoren und Aufseher fehlten. Strengste, notfalls brutal durchgesetzte Disziplin war angesagt, körperlich Züchtigungen, Isolationshaft, Misshandlungen und Erniedrigungen gehörten scheinbar zum Alltag. Eine Flucht übers Wasser war kaum möglich, und so bauten sich die Bewohner der Einrichtung ihre eigene Gesellschaft, geprägt von Hierarchie, Unterdrückung, Gewalt und Unfreiheit. Der Film erzählt die angeblich wahre Geschichte des Seemannes Erling, der als neuer Häftling auf die Insel kommt und von Anfang an unmissverständlich verkündet, er wolle nicht lange dort bleiben. Zwar werden sein ständiges Aufbegehren sowie ein Fluchtversuch mit allen Mittel der Autorität zunichte gemacht, dennoch schafft er es, den Funken des Widerstandes zu entzünden und es kommt zur offenen Revolte. Die wird vom Militär beendet, doch Erling und sein Freund Olav können aufs Eis fliehen, wo aber nur einer der beiden durchkommt.
Die Erzählung bezieht ihre eindrucksvolle Kraft aus dem Aufeinanderprallen zweier enorm willensstarker Kontrahenten: Erling geht vom ersten Tag an voll auf Konfrontationskurs und macht aus seinen Absichten keinerlei Hehl. Er weiß sich auch körperlich durchzusetzen und lässt sich durch keine noch so harte Schikane klein kriegen. Der Gefängnisdirektor erkennt schnell, dass er Erling vermutlich nicht allein durch plumpe Gewaltanwendung brechen kann, und versucht deshalb, den kurz vor der Entlassung stehen Olav für seine Zwecke zu gewinnen, um Erling zu bremsen. Zunächst sieht es auch so aus, als könne sein Plan Erfolg haben, doch dann lässt sich Olav von Erlings Entschlossenheit mitreißen, und als herauskommt, dass einer der Jungs von dem widerlichen Aufseher Bråthen regelmäßig missbraucht wird, regt sich auch in Olav die Überzeugung, dass nun etwas geschehen muss.
Marius Holst erzählt diese Geschichte sehr ruhig und konzentriert, erzeugt von Beginn an eine starke, untergründige Spannung, die sich immer mal wider heftig entlädt, um am Schluss dann in ein wirklich dramatisches und bewegendes Finale zu münden. Der inhaltliche Schwerpunkt ist klar – der Kampf um die Menschenwürde und gegen Unterdrückung und Erniedrigung, gegen ein Willkürregime mit unmenschlichen Gesetzen und Lebensbedingungen. Was angeblich zur Erziehung zu einem guten Christenmenschen dient, entspringt in Wahrheit offensichtlich der grundlegenden Verachtung für den Gedanken der Gleichheit und dem Verlangen nach Macht und Dominanz. Der Direktor und seine Schergen mögen zwei Varianten dieser Gesinnung verkörpern – eine vermeintlich kultivierte und eine ungeniert primitive -, doch der Geist dahinter ist der selbe und gegen eben diesen Geist richtet sich der verzweifelte Aufstand der durch harte Zwangsarbeit, miserable Unterkünfte und unzureichende Ernährung ausgezehrten Jungs, die sich am Schluss der Übermacht des Militärs beugen müssen. Wie der Abspann erklärt, bestand die Einrichtung für Jugendliche auf Bastøy noch bis in die 50er – ob der hier beschriebene „Aufstand“ etwas verändert hat, wird aber nicht erwähnt.
Der Film besticht durch die starken Darsteller, gleichwertig aber ist für meinen Geschmack der visuelle Anteil, vor allem die vielsagende Farbgestaltung – drei Viertel des Films spielen sich ab in bleigrauen, irgendwie toten Bildern, und erst als die Dinge langsam in Bewegung geraten, öffnet sich die Farbpalette, werden plötzlich andere Töne zugelassen, kommt auch in die Bilder so etwas wie Leben. Es ist allein schon ein starker Eindruck, den Film nur anzusehen. Um so besser, wenn dann noch eine starke Geschichte hinzukommt, deren Nachklang wirklich hängen bleibt und die einige sehr eindringliche Momente zu bieten hat. (30.3.)