Wir wollten aufs Meer von Toke Constantin Hebeln. BRD, 2012. Alexander Fehling, August Diehl, Ronald Zehrfeld, Phuong Thao Vu, Rolf Hoppe, Sylvester Groth, Annika Blendl

   Dies ist ein gutes halbes Jahrzehnt nach „Das Leben der anderen“ der zweite großformatige Versuch, im Kino zu zeigen, wie Freundschaft, Liebe, Vertrauen und Solidarität im Würgegriff eines Terrorregimes untergehen. Bespitzelung, gezielte „Zersetzung“, Verrat, Intrige und Gewalt zeichnen die Methoden der Stasi aus, die mit allen Mitteln versucht, Oppositionelle und potentielle Republikflüchtlinge unter Kontrolle zu bekommen, zu isolieren, zu fangen, und in der Haftanstalt schließlich zu demütigen und zu zerbrechen. Wer mit dem System gemeinsame Sache macht, kann unter Umständen das wohlwollen der Funktionäre gewinnen und ein sorgenfreies Leben im Paradies der Werktätigen führen, natürlich um den Preis des eigenen Gewissens und der persönlichen Integrität, denn die Stasi kennt kein Pardon und erwartet volle Kooperation, auch gegen die besten Freunde, die Geliebten und die eigene Familie. Er sich gegen das System stellt, wird die ganze Macht, die perfide Effektivität des Apparates zu spüren bekommen, und die wenigsten nur hatten die Kraft und das Durchhaltevermögen, unter Umständen Jahre in dieser Hölle durchzustehen.

   Dies alles sehen wir hier in Form eines zweistündigen, emotionsgeladenen, wuchtigen Dramas um zwei Freunde, die 1982 in Rostock nach Arbeit suchen, enthusiastisch, voller Tatendrang und Enthusiasmus, fest entschlossen, zur Handelsmarine und damit endlich aufs Meer zu kommen, dem einzigen Ort, der wenigstens eine Ahnung von Freiheit versprach. Ein dritter Mann kreuzt immer wieder ihren Weg, ein offen kritischer Typ, der aus seinem Drang, das Land zu verlassen, kein Geheimnis macht. Drei ernüchternd ereignislose Jahre später hat sich die Euphorie verflüchtigt und die Wege der Freunde haben sich ebenfalls auseinander bewegt: Cornelis liebt eine Vietnamesin und denkt nur noch an die Flucht, Andreas plädiert weiterhin dafür, erst noch Punkte bei der Stasi zu sammeln, um dann vielleicht irgendwie den Absprung zu schaffen. Er kann Cornelis dazu überreden, den Dritten, Schönherr, ans Messer zu liefern, doch danach hat sich ihre Freundschaft erledigt. Cornelis scheitert bei einem Fluchtversuch und kommt nach Cottbus in den Bau, Andreas wird zum Krüppel gefahren und paktiert endgültig mit der Macht. Im Bau trifft Cornelis Schönherr wieder, mit dem er sich erneut anfreundet, und in dieser Konstellation entwickelt sich die düstere Dreiecksgeschichte weiter bis zur Zeit nach dem Mauerfall.

 

   Buch und Regie gehen bei der Darstellung des Dramas in jeder Hinsicht in die Vollen, und so ergibt sich ein durchaus kraft- und wirkungsvoller Film, der streckenweise bewegt und mitreißt. So richtig gut finde ich ihn leider trotzdem nicht, weil er sich an anderer Stelle einfach zu wenig Mühe gibt. Die große Schwäche ist neben der etwas zu ausufernden und in die Länge gezogenen Geschichte die Zeichnung fast aller handelnden Personen, die von oberflächlich bis schlicht klischeehaft reicht. Gestandene und ausgezeichnete Mimen wie Hoppe oder Groth dürfen nicht viel mehr als Karikaturen liefern, die Stasischergen am Rande bedienen lediglich standardisierte Schwarzweißbilder, und obgleich hier wirklich ein exquisites Trio in den Hauptrollen zu sehen ist, haben zumindest Fehling und Zehrfeld wenig Möglichkeiten, ihren Figuren etwas Fleisch auf die Knochen zu geben, höchstens Diehl als der zerrissene, fast tragische Verräter hat ein wenig mehr Material zur Hand und gestaltet es mit gewohnter Brillanz. Und was in der zweiten Filmhälfte (durchaus zu Recht) in aller Ausführlichkeit und Gründlichkeit ausgemalt wird – nämlich die Operationen einer durch und durch menschenverachtenden, grausamen und zynischen Diktatur –, wird in den Anfangssequenzen viel zu knapp und flüchtig abgehandelt – nämlich die Geschichte und Substanz der Freundschaft zwischen Cornelis und Andreas, die nie so ganz greifbar wird, weswegen die wenigen Bilder der strahlenden Jungs zu Beginn auch irgendwie nicht richtig fassbar werden. Wieso ausgerechnet aus Andreas und nicht aus Cornelis ein berechnender Kollaborateur werden konnte, können wir ebenfalls nicht verfolgen, und gerade diese Entwicklung wäre doch besonders interessant gewesen, zumal sie den gesamten weiteren Verlauf des Films prägt. So blieb bei mir trotz aller Spannung eine gewisse Unzufriedenheit zurück,. das Gefühl, einen allzu konstruierten und kalkulierten Plot gesehen zu haben, dessen Strukturen leider des öfteren an herkömmliche TV-Dramen erinnert. Schade, denn natürlich lassen sich starke Geschichten aus der DDR erzählen, und dies ist eigentlich auch so eine, nur fehlte dem Regisseur offenbar der Mut, sich vom bewährten Schema zu lösen und einfach mal mehr in die Tiefe zu gehen. Da hatte „Das Leben der anderen“ dann doch sehr viel mehr zu bieten. (30.9.)