Abseitsfalle von Stefan Hering. BRD, 2013. Bernadette Heerwagen, Sebastian Ströbel, Christoph Bach, Anja Antonowicz, Fabian Busch, Charlotte Bohning, Thomas Goritzki, Isabel Hindersin, Jochen Kolenda

   Noch während ich diesem Film vollkommen glücklich folgte, drängte sich mir eine naheliegende Frage auf: Warum gibt’s eigentlich nicht mehr davon? Es wäre doch so einfach: Geschichten aus der Gegenwart, Geschichten aus dem Alltag, Geschichten von ganz normalen Leuten in ganz normalen Situationen. Keine spektakulären Geschichten vielleicht, dafür aber genau die Geschichten, die das Leben ausmachen. Und obwohl ich mich wie jeder andere auch  gern mal zerstreuen lasse im Kino von irgendwelchem phantastischen Quark, sind es doch solche Filme wie dieser hier, die für mich nach wie vor die wichtigen sind. Die Brits haben seit Jahr und Tag ihre Leighs und Loachs dafür, hierzulande existiert die Tradition allerhöchstens in sehr rudimentärer Form.

   Eine Geschichte aus unserer schönen neuen Welt: Der Bochumer Ableger eines in Dallas beheimateten Multikonzerns Perla (Waschmaschinen) gerät unter Druck, ist angeblich nicht effizient genug, also müssen 400 Stellen weg. Zu diesem Zwecke rückt ein Vertreter jener parasitären Dienstleistung an, die sich mit solchen Prozessen beschäftigt. Eine Angestellte gerät fast wider Willen mitten rein in den Sog, wird gleich mit einbezogen in die Strategiebesprechungen und muss plötzlich ihren Kollegen einen zweifelhaften Deal nahe legen, damit sie ihren Arbeitsplatz ohne Murren räumen. Weil diese Dame aber eigentlich ganz in Ordnung ist und schließlich auch das miese, zynische Spiel durchschaut, das da mit ihnen gespielt werden soll, und weil sie sich nebenbei in einen ihrer Kollegen aus dem Werk verguckt, nimmt die ganze Sache wenigstens auf rein menschlicher Ebene ein halbwegs versöhnliches Ende.

   Ich betone: Nur auf menschlicher Ebene, denn alles andere ist ein trauriges Kapitel aus dem heutzutage herrschenden Global- und Brutalkapitalismus. Die Abwicklung des kompletten Bochumer Strandorts war längst beschlossene Sache, alle Manöver dienten nur dazu, die Belegschaft ruhig zu stellen, die Polen kriegen zunächst den Zuschlag aufgrund der anstehenden EU-Subventionen, nach drei Jahren allerdings wird auch dieses Werk platt gemacht und die ganze Produktion nach China verschifft, wo die Menschen noch billiger sind als in Europa. Genau so läuft das heute, genau so scheffeln einige Herren Milliarden, während uns Idioten die Mär einer Wirtschaft verkauft wird, die ständig unter größtem Druck steht und deshalb von Zeit zu Zeit ein paar Anpassungen im Bereich des Humankapitals vornehmen muss (Businessjargon, versteht sich...). Ich will jetzt gar nicht weiter polemisieren, obwohl mich dieser Film geradezu dazu einlädt, so bitter realitätsnahe und wahrhaftig ist er in dieser Beziehung. Die ganzen fürchterlichen Phrasen und Sprüche hört man tagtäglich wieder und wieder, auch mir begegnen sie häufig genug im Berufsalltag, und dieser ganze menschenverachtende Zynismus kotzt einen umso mehr an, als man sich völlig machtlos fühlt. Der von Christoph Bach gespielte Abwickler Dr. Kruger personifiziert die oben erwähnte parasitäre Gesellschaft perfekt: Ein unscheinbarer, korrekter Herr im Anzug und mit ruhigem Tonfall, kein schlechter Mensch an sich, aber eben einer, der jede menschliche Erwägung abkoppeln kann von seinem Auftrag und diesen deshalb mit maximaler Korrektheit und Effizienz ausführen kann. Gerade in diesem Land friert es mich immer ein bisschen bei dem Gedanken an solche Typen. Dieser Film nun bringt einen interessanten Zwischenton ein, indem er die Hauptfigur Karin (von Bernadette Heerwagen ganz großartig gespielt) in einer extrem heiklen Lage zeigt: Sie hat sich bereit erklärt, Dr. Kruger im Werk vor Ort zu unterstützen, erkennt zu spät, in welch unglückliche Situation sie sich damit selbst gebracht hat, lässt sich aber andererseits auch von der Aussicht auf die eigene Entwicklung, vielleicht gar eine Karriere, locken, selbst dann, als eigentlich allen außer ihr klar ist, dass sie diese Haltung nie im Leben mit ihrem gewissen in Einklang bringen kann. Sie zögert sogar noch bei Krugers Angebot, ihn zu seinem nächsten „Job“ nach Kapstadt als seine feste Assistentin zu begleiten. Sie ist zu lange unsicher, unentschieden, und damit verführbar, und ein erfahrener Parasit wie Kruger erkennt dies sofort. Dass er dabei sogar noch wie ein ganz netter Kerl daher kommt, macht ihn nur noch gefährlicher und erfolgreicher.

   Um dieses zentrale Drama herum gruppiert sich reichlich Ruhrpottmilieu, das wahrscheinlich gar nicht mehr klischeefrei gezeigt werden kann, doch wie auch in anderen Bereichen umschifft der Film die größten Untiefen ziemlich sicher, verliert nie seine Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit. Natürlich wird’s hier und da ein bisschen gefühlig, gerade wenn’s um Fußball und um die Würde und das Zusammenhalten geht, aber eigentlich wird auch dies nur als ein Versuch vorgestellt, in diesen Zeiten und gegen den globalen Trend ein wenig Menschlichkeit zu erhalten und die eigene Identität nicht ganz aufzugeben. Ein wenig Arbeitskampf schwingt mit, der Kampf der Leute um ihre Existenz, um ihre Selbstachtung, häufig auch um ihre Familie, denn längst nicht immer ist die Ehefrau damit einverstanden, wenn der Mann trotzig auf die angebotene Abfindung verzichten und lieber um den Arbeitsplatz kämpfen will. Zwischen Kneipe, Wohnzimmer, Werkshalle und Fußballplatz spielen sich sehr lebhafte und wunderbar plastisch gezeichnete Szenen ab, und oft genug musste ich an Adolf Winkelmanns alte Ruhrpottfilme denken und daran, dass niemand seither so recht an sie anknüpfen konnte oder wollte. Obwohl just in dieser Region die Themen doch nun wirklich auf der Straße liegen, man muss in Städten wie Bochum nur mal eine halbe Stunde rumfahren, um das zu begreifen. „Abseitsfalle“ tut es nun unter ganz anderen Umständen und Bedingungen, er ist nicht nur eine Hommage an eine Region und ihre Bewohner, sondern auch ein klares Bekenntnis. Wenn sich am Schluss die polnischen und die deutschen Kollegen grenzübergreifend im Matsch auf dem Ascheplatz verbrüdern, ihre Trikots mit dem Konzernlogo demonstrativ in den Schlamm treten und ihren Chefs damit signalisieren, dass sie das schmutzige Spiel durchschaut haben, so ist dies vielleicht nur ein Sieg von Verlierern, aber immerhin eine deutliche Geste, dass ihnen noch nicht sämtlicher Stolz abhanden gekommen ist. Das ist wichtig, denn genau darum ging es den Krugers und Konsorten ja: Die Leute klein machen, sie entmündigen, sie für dumm verkaufen und sie anschließend abservieren. Letzteres wird klappen, daran können die Kollegen wohl nichts ändern, ersteres wird nicht klappen, und daran können sie sich dann vielleicht wieder aufrichten.

 

    Ganz großes kleines Kino also, ein wunderbarer und sehr zu Herzen gehender Film, der über die immer mal eingestreute Püttfolklore die eigentliche Geschichte nie aus dem Blick verliert, ein Film aus dem Alltag und deshalb einer der schönsten deutschen Filme der letzten Jahre. (6.10.)