Before Midnight von Richard Linklater. USA/Griechenland, 2013. Julie Delpy, Ethan Hawke
Achtzehn Jahre nach ihrem ersten Flirt in Wien und neun Jahre nach ihrem zweiten Aufeinandertreffen in Paris sind Celine und Jesse tatsächlich ein Paar geworden. Zwei Töchter sind dazu gekommen, er hat seinen Sohn aus erster Ehe, den er selten zu Gesicht bekommt, arbeitet als Schriftsteller, sie hat auch ihren Job und alle zusammen leben sie in Paris. Ein sechswöchiger Urlaub in Griechenland, den sie zusammen mit Jessies Sohn verbringen, endet unerwartet turbulent: Freunde haben ihnen ein Hotelzimmer für eine Nacht spendiert, passen auf die Zwillinge auf und wollen den beiden damit die Chance geben, mal wieder was für sich als Paar zu tun. Stattdessen entspinnt sich eine hitzige Generalabrechnung, an deren Ende mit Müh und Not und nur vielleicht die Ehe gerettet werden kann.
Achtzehn Jahre, drei Filme, eigentlich nur ein Konzept und zwei Hauptpersonen - und die Magie funktioniert noch immer. Entweder man stürzt nach einer Viertelstunde aus dem Kino, total entnervt von dem ewigen Gequatsche, oder man versinkt fasziniert im herrlich gefilmten südlich-sommerlichen Ambiente und hat Anteil an einem Kapitel aus dem realen Leben. Man täusche sich nicht daran, dass im Zuschauerraum häufig gelacht wird – es ist zumeist das Gelächter des bitteren Wiedererkennens, denn viel, allzu viel von dem, was hier gesprochen wird, haben wir selbst schon mal gesagt oder auf jeden Fall schon mal zu hören bekommen. Und das die oben benannte Magie noch immer funktioniert, ist weißgott keine Selbstverständlichkeit, denn nur die Allerbesten können und konnten es sich leisten, ein absolutes Minimum an Story zu bieten und eigentlich nichts weiter zu tun, als ihre Hauptdarsteller beim Quasseln zu filmen. Eric Rohmer hat diese Kunst zur Vollendung geführt wie niemand sonst, doch das Trio Linklater/Delpy/Hawke rückt ihm mit diesem wunderschönen dritten Film endgültig dicht auf den Pelz. Was sie geschaffen haben, ist nichts weniger als große Kunst, ein hundertminütiges Dialogstück und bis auf zwei signifikante Ausnahmen auch ein Zweipersonenstück. Zu Beginn sehen wir Jesse bei seinem ungelenken und letztlich auch missglückten Versuch, seinen Sohn am Flughafen zu verabschieden und so etwas wie eine nachhaltige Nähe zu dem einsilbigen Teenie zu gewinnen, und später sitzen vier Paare im Garten des Gastgebers beisammen und philosophieren unter südlicher Abendsonne rund ins runde. Aber sonst nur Celine und Jesse. Unterwegs im Auto, auf einem Spaziergang und schließlich im Hotelzimmer, wo schließlich eine ungute und auch überraschend heftige Eskalation vom Zaun bricht, die über das Ende des Films hinaus nachwirkt, den obgleich Celine letztlich Jesses beharrlichen Versöhnungsversuchen ein wenig nachgibt, ist die Illusion einer intakten Ehe doch deutlich beschädigt.
Diese im wesentlichen drei langen Sequenzen sind Musterbeispiele einerseits improvisierter und dennoch haarscharf auf den Punkt gebrachter Kommunikation zwischen Mann und Frau. Was als ganz unverfänglicher Smalltalk losgeht, kann urplötzlich in eine erbitterter Grundsatzdiskussion münden, und gerade wenn man den Eindruck hat, es gebe nun gar kein Zurück mehr, öffnet sich doch wieder der Blick auf die Zukunft. Frauen sind in so was turmhoch überlegen, und folglich ist es Celine, die den Takt vorgibt, die jeweilige Stimmung festlegt und auch entscheidet, ob und wann man wieder zum friedlichen Modus übergehen kann. Sie hört Dinge, die Jesse noch gar nicht gesagt hat, wechselt rasant zwischen Ironie, Wut, Leidenschaft, Bitterkeit, und Jesse bleibt fast immer nur die Rolle des Reagierenden, der sich abrackern muss, um halbwegs Aschritt halten zu können. Ausgangspunkt ist sein Frust über die Beziehung zu seinem Sohn Henry und seiner extrem feindseligen Ex, und was Celine ihm daraus schließlich zurecht dreht, und wie sie es schafft, von dort aus übergangslos ihre Rolle als Ehefrau und Mutter und seine Rolle als verantwortungsloser Vater und Künstler auseinander zu nehmen, kann man nicht beschreiben, das muss man sehen. Die beiden münden unweigerlich in ein gegenseitiges Aufrechnen von Fehlern und Versäumnissen, wobei eigentlich immer sie die Aggressorin ist und er ursprünglich nur einen netten Abend mit etwas ehelichem Sex im Sinn hatte. Stattdessen sieht er sich mit herben Vorwürfen konfrontiert und ihre ganze Beziehung gründlich infrage gestellt. Wie gesagt, manchmal ist es urkomisch, aber nur, weil es so irre echt ist, manchmal ist es aber auch recht abgründig und traurig, weil sehr klar zum Ausdruck kommt, wie trügerisch und dünnhäutig eine Beziehung doch häufig ist und wie wichtig es ist, aufmerksam miteinander und vor allem auch mit sich selbst zu sein. Wobei die Stimmungsschwankungen in diesem dritten Film deutlich schärfer ausfallen als in den beiden Vorgängern, weil ganz einfach viel mehr auf dem Spiel steht, nämlich keine abstrakten Gedankenspiele oder Plänkeleien mehr, sondern eine Ehe, eine Familie und, wenn man’s mal etwas pathetisch formulieren wollte, auch zwei Lebensentwürfe.
Julie Delpy und Ethan Hawke liefern einmal mehr großartige Arbeit, sowohl als Darsteller als auch am Drehbuch, das sie wie in den Vorgängern auch gemeinsam mit Linklater gestalteten. Es ist meiner Ansicht nach völlig müßig darüber zu spekulieren, wie viel von sich selbst die beiden in ihre Rollen eingebracht haben, Tatsache ist, dass sie sie mit Vehemenz, Temperament und untrüglichem Gespür für die richtigen Töne ausfüllen, wobei ironische Brechungen und Überzeichnungen inbegriffen sind, vor allem was Celine angeht. Dieser Film ist ein Genuss für Liebhaber französischer Filmkunst, für alle unerschrockenen, die auch über den alltäglichen Beziehungskrieg ab und zu mal lachen können und vielleicht auch für jene (wie mich), die sich auf eine baldige Reise gen Süden freuen. Ich bin gespannt, ob es eine weitere Fortsetzung geben wird, würde mich in jedem Fall aber sehr darüber freuen. (26.6.)