Blue Jasmine von Woody Allen. USA, 2013. Cate Blanchett, Sally Hawkins, Alec Baldwin, Bobby Cannavale, Peter Sarsgaard, Louis C.K., Andrew Dice Clay
Keine zwei Meinungen, denke ich – das hier ist allein Cate Blanchetts Show. Sie trägt den Film, gestaltet das Drama, gestaltet vor allem unsere Beziehung zu einer Person, die man vorsichtig als vielschichtig bezeichnen könnte, die im Ganzen natürlich deutlich auf der negativ besetzten Seite angesiedelt ist, weshalb es eben Blanchetts großer Verdienst ist, dass man trotzdem irgendwie mitgeht und fast auch mitfühlt. Woody Allen, der nach ausgiebigen europäischen Intermezzi zumindest vorübergehend mal wieder „zuhause“ filmt, hat ihr eine Rolle für virtuose Schauspielkunst angeboten und sie hat dankbar angenommen und diese Rolle vollkommen adäquat ausgefüllt.
Die Rolle einer Frau, die in New York gründlich Schiffbruch erleidet, als ihr Mann an seinen windigen Geschäften scheitert und sie auch noch betrügt, worauf ihr ganzes Wolkenkuckucksheim hässlich in sich zusammenbricht. Der Gatte erhängt sich im Knast, der Sohn flüchtet total verstört, und Jasmine fliegt nach Westen zu ihrer Schwester Ginger nach San Francisco. Ginger – wie sie selbst ein Adoptivkind – ist in allem so ziemlich das Gegenteil von ihr, auch was die Wahl ihrer Männer betrifft, und vom ersten Moment ihrer halbwegs unfreiwilligen Wiedervereinigung arbeiten sich die beiden Schwestern an diesen Differenzen ab. Jasmine versinkt zunächst in Apathie, lernt dann aber einen smarten aufstrebenden Politiker kennen und sieht ihre Chance, bald wieder an den glamourösen Lebensstil von einst anknüpfen zu können. Sie verheddert sich aber selbst in ihren Lügenmärchen und sitzt am Schluss ganz allein auf einer Parkbank, hilflos und total derangiert Selbstgespräche führend, während Ginger ihr ebenfalls recht labiles Privatleben nach einigen Umwegen vorübergehend mal wieder auf die Reihe gekriegt hat.
Einen solch garstigen, sperrigen Charakter hat Woody Allen schon lang nicht mehr gezeichnet: Neurotisch, egozentrisch, dünkelhaft, verlogen. Aber doch eben mit Schattierungen. In ausführlichen Rückblenden sehen wir Szenen aus ihrem Eheleben mit dem großkotzigen Geschäftemacher Hal, der in allen Ausprägungen noch eine Spur extremer ist als sie und dem sie sich als adrettes, herzeigbares High-Society-Frauchen jederzeit gern unterordnet, wenn er nur gelegentlich mal ein teures Armbrand springen lässt. Ein Deal, der mehr oder weniger auf gegenseitiger Ausbeutung basiert, und dem Allen nicht viel mehr als bissigen Sarkasmus abzugewinnen hat. Westcoast-Ginger und ihre kernigen Eroberungen haben zwar auch so ihre Macken, werden aber deutlich liebevoller, wenn auch voller Ironie beschrieben, und natürlich bildet der Zusammenprall zweier Welten und Kulturen das Kernstück der Geschichte. Blanchett und Hawkins sind dann ganz in ihrem Element und gestalten ihre gemeinsamen Szenen mit Bravour, doch vor allem Blanchett erhält natürlich den Raum, noch viel mehr zu zeigen. In den Rückblenden, die sie als stolze und zufriedene reiche Gesellschaftsdame zeigen, in den bitter komischen Szenen, in denen sie sich der Avancen eines ungeschickten Dentisten erwehren muss, in den weniger komischen Szenen, in denen sie um die Aufmerksamkeit des smartem Diplomaten Dwight buhlt und den noch weniger komischen Szenen, in denen sie irgendwie versucht, ihrem Sohn doch noch eine Mutter zu sein und ein Art Nähe zu ihm, zu gewinnen. Das aufgelöste, vor sich hinmurmelnde obdachlose Wesen am Ende ist kein sonderlich optimistischer Ausblick, doch ist der Grundton an sich eher von Ironie geprägt als von wirklichem Drama. Natürlich ist der Film ganz und gar nicht mit Allens zahlreichen Komödien zu vergleichen, er zeigt vielmehr, dass es ihm mittlerweile auch sehr gut gelingt, wirklich ernsthafte Stoffe überzeugend zu verarbeiten, was früher ganz und gar nicht selbstverständlich war, wenn man mal an Tiefschläge wie „Interiors“ oder „Another Woman“ zurückdenkt. „Blue Jasmine“ wirkt viel weniger angestrengt als die genannten Filme oder einige andere vergleichbare Sachen, er versucht jetzt nicht mehr, der amerikanische Bergman zu werden, sein Stil ist souverän und bissig zugleich, tiefgründig und unterhaltsam. Ein wirklich gelungener Film mit einer brillanten Protagonistin, die ich so gut nur selten bisher gesehen habe, wenn überhaupt. (12.11.)