Captain Phillips von Paul Greengrass. USA, 2013. Tom Hanks, Barkhad Abdi, Faysal Ahmed, Mohamed Ali, Barkhad Abdirahman, Mahad M. Ali, Michael Chernus, Corey Johnson, Catherine Keener
Uff, das sind mal wieder zwei anstrengende Kinostunden gewesen. Man räumt den Saal doch leicht benommen (mancher auch durchaus arg durchgerüttelt), ist sich einig über die große Qualität des Films, aber auch darüber, dass dies nicht eben leichter Stoff ist.
Moderne Piraterie ist nicht nur eine verdammte Unsitte, sie bietet auch perfekten Kinostoff, und wenn man’s seriös angeht, kommt auch ein bisschen mehr dabei rum als nur fotogene Action. Zweifelsfrei ist Mr. Greengrass hundertprozentig der richtige Mann für diesen Stoff, denn mehr als einmal schon hat er unter Beweis gestellt, dass er aktuelle politische Themen in zugleich hoch dramatische und seriöse Filme verarbeiten kann, so überzeugend eigentlich wie keiner sonst – siehe Irland, 9/11 oder Irakkrieg. Die Kaperung eines Containerschiffs unter US-amerikanischer Flagge anno 2009 durch vier somalische Gangster und das daran anknüpfende Geiseldrama um den Kapitän jenes Schiffs und den Versuch der US-Navy, die Gangster daran zu hindern, in Somalia an Land zu gehen, ist eine wahre Geschichte, die möglicherweise im Interesse der Kinofassung leicht abgewandelt wurde, aber wenn, dann doch in sich äußerst schlüssig und überzeugend. In atemberaubend detaillierten Schilderungen wird minutiös aufgearbeitet, wie sich die Piraten den großen Pott ausgucken, weil sie einfach erwarten, für ihn das meiste Lösegeld erpressen zu können, wie sich zwei Nussschalen an den Riesentanker herankämpfen, fast schon verlieren, ihn dann aber doch stellen, und als vier bewaffnete Piraten das letztlich zu langsame und schwerfällige Ungetüm über eine simple Leiter entern und sich der größte Teil der Crew im Maschinenraum versteckt, ist das schon ein besonders schauerlicher Moment. Die Besatzung versucht Tricks, wehrt sich zum Teil erfolgreich, schnappt sich den Anführer sogar und erzwingt einen frühzeitigen Abzug der Gangster im Rettungsboot, doch wird Captain Phillips in letzter Sekunde doch noch als Geisel gegriffen, und danach geht es nur noch um sein Leben und darum, zu verhindern, dass die Vierergruppe mit dem Rest der Bande zusammenkommen kann. Das Drama hat zum einen fast Kammerspielcharakter, wenn es um die Ereignisse in dem kleinen Rettungsboot geht, wo Phillips irgendwie versucht, in der zunehmend von Panik, Streit und Gewalt erfüllten Atmosphäre zu bestehen, zum anderen weitet es sich zur aufwendigen Materialschlacht, wenn plötzlich die Navy mit schwerem Gerät anrückt und eine Sondereinheit die Sache in die Hand nimmt, womit schlagartig klar wird, dass hier kein friedlicher Ausgang der Geschichte zu erwarten ist. Wie es Greengrass gelingt, die Ereignisse zu verdichten zu wirklich extrem intensiver Spannung, die einen schier in den Sessel drückt und nicht mehr loslässt, wie die wie gewohnt fantastische Kamera von Barry Ackroyd uns reinsaugt in das beklemmende Geschehen, das ist schon große Kunst. Nach sehr knapper Exposition sind wir nach nur wenigen Minuten mitten drin im Thema und werden erst tatsächlich zwei Stunden später wieder entlassen, und es gehört bestimmt eine gehörige Portion Abgebrühtheit dazu, sich nicht von der virtuosen Montage mitreißen zu lassen.
Aber der Film erzählt auch noch mehr. In den mageren, ausgemergelten, hohläugigen Gesichtern der vier Piraten steht die Geschichte Afrikas geschrieben, in ihrer ebenso wahnwitzigen wie naiven Hoffnung auf den großen Jackpot die Geschichte eines ausgebrannten, von Kriegen erschütterten Landes, in dem es überhaupt gar keine andere Hoffnung geben kann. Ein ganz kurzer Dialog zwischen Phillips und dem Anführer der vier, Abduwali Muse, spricht ganze Bände: Es muss doch mehr Möglichkeiten geben, als Fischer oder Pirat zu werden, spricht der Amerikaner in seiner durchaus nicht übelwollenden Ahnungslosigkeit. Der Somalier schaut ihn lange an und sagt: In Amerika vielleicht. Noch klarer wird das Thema in der letzten Viertelstunde: Eine zersauste Handvoll mit Gewehren bewaffneter Afrikaner sieht sich der hochgerüsteten Hightechübermacht der US-Navy gegenüber, die mit Zerstörer, Flugzeugträger, Hubschrauber und den Eliteeinheiten antritt, so als ginge es wieder nach Vietnam. Ein bei Tageslicht besehen schier irrsinniger Aufwand, um das Leben eines einzelnen Amerikaners zu retten, aber gerade solche Gesten lieben sie und brauchen sie. Greengrass liefert zum Glück nicht das passende Patriotengedröhn, sondern bleibt dicht bei dem zuletzt schwer angeschlagenen, traumatisierten und entkräfteten Phillips und denen, die einen aufreibenden Wettlauf mit der Zeit bestreiten, denn an Bord des Rettungsbootes wird’s zuletzt ganz schön eng, als allen Beteiligten ordentlich die Nerven durchgehen. Die eiskalte Exekution der drei verbliebenen Somalier setzt einen rabiaten Schlussstrich unter eine Eskalation, die ohne Muses schlichtendes Eingreifen (denn der war bereits an Brod des US-Kriegsschiffs) beinahe doch noch fatal für Phillips verlaufen wäre.
So haben wir mal wieder hoch explosives, faszinierend spannendes Kino mit Unterbau, eine Geschichte aus der großen weiten (aber nicht schönen) Welt, und zudem hat der Film den (für mich wenigstens) ganz großen Vorteil, dass Tom Hanks nicht ganz so spielt wie Tom Hanks normalerweise, denn davor hatte ich echt Schiss und war umso erleichterter zu sehen, dass er sich ganz diszipliniert einfügt in das Ganze und zudem mit Barkhad Abdi einen kongenialen Partner auf somalischer Seite hat. Paul Greengrass ist und bleibt jedenfalls ein Regisseur, auf dessen Filme ich jedes Mal neugierig bin. (26.11.)