What Maisie knew (Das Glück der großen Dinge) von Scott McGehee und David Siegel, USA, 2012. Onata Aprile, Julianne Moore, Alexander Skarsgård, Joanna Vanderham, Steve Coogan

  Maisie hat kein Glück bei der Wahl ihrer Eltern gehabt: Sie ist Rocksängerin, er „Geschäftsmann“, zwei total egozentrische Leute, in deren Leben ein Kind eigentlich gar keinen Platz hat. Ihre endlosen Auseinandersetzungen, die Maisie sich täglich anhören muss, enden schließlich in der Trennung, und für die Tochter beginnt eine Zeit ständiger Zerrissenheit und entwürdigenden Hin- und Hergestoßenwerdens. Mama schnappt sich schnell den netten Barkeeper Lincoln, Paps krallt sich Maisies Kindermädchen Margo, und zwischen diesen vier Polen rotiert das kleine Mädchen fortan unaufhörlich, mal Spielball der kriegerischen juristischen Schachzüge von Mom & Dad, mal Verhandlungsmasse, wenn der Kalender mal wieder voll ist und niemand ein Zeitfenster für die Tochter erübrigen kann oder will. Einzig Margo und Lincoln empfinden wirkliche Zuneigung zu Maisie, sind aber ihrerseits auch Opfer der beiden Egoisten, denn weder Mama noch Paps sind in der Lage, ihren Umgang mit den neuen Partner zu ändern, geschweige denn wirklich mal für Maisie da zu sein. Die entscheidende Wende, was das Mädchen betrifft, vollzieht sich gegen Ende, als Maisie endlich den Mut gefunden hat, sich von ihrer Mutter abzugrenzen, nicht mehr in jedes halbherzige, flüchtige Treffen einzuwilligen und klar zu äußern, bei wem sie bleiben will, nämlich bei Margo und Lincoln.

   Den Namen Henry James als Autor der Romanvorlage nimmt man zwar zur Kenntnis, doch ist dies natürlich keine akkurate Literaturverfilmung im herkömmlichen Sinn. Die Geschichte wurde in jeder Hinsicht komplett in das New York von heute verlegt, die Essenz blieb jedoch erhalten, und es ist ebenso faszinierend wie erschreckend zu erkennen, dass diese Essenz geradezu ein Abbild heutiger Verhältnisse zu sein scheint. Das Fehlen von Liebe, Verantwortungsgefühl und Zusammenhalt im Zeitalter des totalen Egoismus (der wiederum eine Frucht des totalen Kapitalismus ist) – hatten die das vor hundertfünfzehn Jahren etwa auch schon? Auf jeden Fall ist das Porträt zweier Elternteile, die vollkommen mit sich selbst und dem, was man vermutlich „Selbstverwirklichung“ nennen würde, beschäftigt sind, und bei denen man sich (wie bei sehr vielen anderen auch) ernsthaft fragt, warum zum Teufel die bloß ein Kind in die Welt gesetzt haben. Vermutlich, um den allgemein akzeptierten Lebensentwurf zu komplettieren – Kind und Karriere, das klingt irgendwie rund, das klingt nach gutem Management. Weder Susanna noch Beale sind allerdings imstande, diesem Anspruch gerecht zu werden, und je klarer dieses Unvermögen zutage tritt, desto bitterer wird das Drama um die kleine Maisie, die tatsächlich neunzig Minuten benötigt, um aus ihrer Rolle als ein Manövriergegenstand herauszutreten und zu einem Menschen mit eigenständigem Willen zu werden und der Fähigkeit, eben diesen Willen auch kundzutun. Zuvor wird ständig darum gerungen, wer sich gerade um sie zu kümmern, wer sie abzuholen und zur Schule zu bringen hat. Verabredungen werden nicht eingehalten, Maisie muss dauernd stundenlang irgendwo hocken und warten, und stets greift jemand zum Handy und versucht, was zu organisieren, wobei Margo und Lincoln deutlich mehr Verantwortungsbewusstsein zeigen als die leiblichen Eltern. Susanna straft ihre sich auffällig häufenden Liebesbekundungen ständig Lügen, geht lieber auf Tour statt für Maisie dazu sein, und Beale steht der ganzen Situation sowieso hilflos gegenüber, emotional stumpf wie er ist und ohnehin fixiert auf seine „Geschäfte“, die ihn durch die halbe Weltgeschichte schicken. Ihre Wahrnehmung beschränkt sich weitgehend auf die eigene Befindlichkeit, Maisie bleibt ihnen im Grunde fremd, und diese Ratlosigkeit im Umgang mit ihr kommt vor allem bei Beale relativ ungefiltert zum Vorschein, während Susanna emsig bemüht ist, sie zu kaschieren, eigentlich nur mit dem Resultat, dass ihre Aktionen fast noch verletzender und selbstsüchtiger wirken als Beales, der nie verhehlen kann, dass er eigentlich gar keine echte Beziehung zu unterhalten imstande ist.

 

   Der Film wirkt so stark und eindringlich, weil er auf die großen Aufreger verzichtet und sich lieber ganz auf Maisies Perspektive konzentriert. Dieser Perspektive sind auch wir völlig ausgeliefert, ihrer Machtlosigkeit, ihren Versuchen, trotz des ständigen hin und her irgendwo ein zuhause zu finden und auch immer noch das Gute in ihren Eltern zu sehen. Sie kann und will nicht Partei ergreifen für einen von ihnen, möchte zu beiden Kontakt haben und erlebt doch immer wieder, dass weder Susanna noch Beale ihr geben können, was sie braucht. Diese schwierige Dreierkonstellation überschattet lange auch ihr Verhältnis zu den beiden anderen, die ihr viel offener und liebevoller zugeneigt sind. Margo bringt sich selbst in eine unglückliche Position, indem sie mit ihrem Arbeitgeber eine Liaison anfängt und sich damit Susanna zum Feind macht, und Lincoln schafft es lange Zeit nicht, Susannas fiesen Eifersuchtsattacken und ihrer herrischen Arroganz zu trotzen. Als die beiden sich dann endlich gelöst haben aus ihren Beziehungen und sich einander nähern, scheint der Weg frei zu sein für eine neue Familie, in der Maisie mehr im Mittelpunkt stehen kann. Drehbuch und Regie arbeiten perfekt Hand in Hand, schaffen ein Ton irgendwo zwischen leiser Poesie, sprödem Großstadtrealismus und tiefer Melancholie, alles relativiert durch Maisies Präsenz, die sich irgendwie fast unbeschadet durch all die kleinen Enttäuschungen und Rückschläge navigiert. Die brillanten Schauspieler tragen entscheidend zum Wirken des Films bei (vor allem Steve Coogan als hoffnungslos herumeiernder Vater hat ein paar wirklich herzzerreißende Momente mit seiner Tochter), und insgesamt ist dies wirklich ein sehr intensives, tiefgehendes, ruhiges und dabei umso kraftvolleres Drama, das im momentanen seichten Sommerloch fast ein wenig verloren wirkt – ganz wie die kleine Hauptperson. (19.7.)