De rouille et d’os (Der Geschmack von Rost und Knochen) von Jacques Audiard. Frankreich/Belgien, 2012. Marion Cotillard, Matthias Schoenaerts, Bouli Lanners, Armand Verdure, Corinne Masiero, Céline Sallette
Die Geschichte von Stéphanie und Ali: Er kommt mit seinem kleinen Sohn aus dem Norden runter an die Côte d’Azur und findet erst mal einem Job als Securitymann. Sie arbeitet als Waldompteuse für ein großes Aquarium. Sie treffen sich erstmals, als sie im Club in eine Schlägerei gerät und er sie nach Haus bringt. Er schlägt sich so durch, zieht bei seiner Schwester ein, führt ein lockeres Leben mit rasch wechselnden Frauen, sie lebt freudlos in einer Beziehung und beschließt bald, wieder eigene Wege zu gehen. Dann verliert sie bei einem Unfall mit einem Orca beide Unterschenkel, und von heuet auf morgen muss sie ihr Leben ganz neu ordnen. Sie sucht wieder Kontakt zu Ali, der freundlich darauf eingeht, und auch als er ihr wie selbstverständlich anbietet, mit ihm zu vögeln, um zu sehen, ob es überhaupt noch klappt, bleibt er weitgehend unverbindlich, während für sie die Sache schon weitaus ernster geworden ist. Er findet einen einträglichen Nebenverdienst in illegalen, brutalen Kämpfen, und sie lässt sich zögernd auf das Milieu ein. Seine Welt bröckelt, als er sich in einen schmutzigen Bespitzelungsdeal hineinziehen lässt, seine Schwester dadurch ihren Job los wird und ihn rauswirft. Und dann bricht auch noch sein Sohn durchs Eis und kommt fast ums Leben.
Ist auch egal, was ich schreibe, denn eine Inhaltsangabe kann niemals annähernd wiedergeben, wie stark und intensiv dieser faszinierende Film wirkt. Ein Liebesdrama, das buchstäblich aufs Ganze geht, das Schmerzgrenzen ausreizt, ohne spekulativ zu wirken, das Extreme ansteuert, ohne effektheischend zu wirken, das bei alledem unerhört wahr und direkt und konzentriert bleibt. Zwei Menschen, deren Lebensweg bis zuletzt durchaus parallel und nicht automatisch gemeinsam verlaufen, die ihre Eigenständigkeit und vor allem ihre Eigenwilligkeit erhalten: Die spröde Stéphanie, die ihr Herz nicht gerade auf der Zunge trägt, die all ihre Kraft und Zähigkeit aufbringen muss, um sich aufzuraffen und mit Hilfe neuer Prothesen im wörtlichen Sinne wieder auf die Beine zu kommen. Der introvertierte Ali, in dessen Wortschatz „Empathie“ nicht vorkommt, der jegliche Gefühle ganz tief in sich vergraben hat und der eigentlich nur mal aus sich rauskommt, wenn er seinem Gegner auf die Fresse haut. Er ist fast noch der interessantere, komplexere der beiden, ein unbeholfener, plumper Typ, dem fast alles egal zu sein scheint, und der erst in einer absoluten Extremsituation erkennt, was und vor allem wer ihm wirklich wichtig ist und das dann auch sagen kann. Am Ende könnten er, Stéphanie und sein Sohn zu dritt weitermachen, doch auf ein verbindliches Happy End will sich dieser Film nie und nimmer festlegen.
Nicht nur ein Liebesdrama, sondern auch ein rauer Milieufilm, der die sonst gern so glamourös in Szene gesetzte Côte d’Azur von ihrer hässlichsten Seite zeigt. Die Leute hier und die Geschäfte, denen sie größtenteils nachgehen, haben nichts mit der glitzernden Fassade zu tun, mit der diese Gegend gewöhnlich assoziiert wird. Entsprechend sind die Bilder häufig bleich, grell, ausgewaschen und die fiebrig zwischen Handbetrieb und flüchtigen Momentaufnahmen hastende Kamera ist zu keiner Zeit an Gefälligkeit oder Postkartenidylle interessiert. Gleiches gilt für die Darstellung der menschlichen Beziehungen, oder eben dem, was sie ersetzt. Lange bestimmt Alis Sprachlosigkeit das Geschehen, seine Unfähigkeit oder sein Unwille, Dinge zu reflektieren und zu benennen. Selbst seine Schwester, ihrerseits bestimmt kein Ausbund an Eleganz und Feingefühl, zeigt mehr Verantwortungsgefühl und Familiensinn als Ali, der immer seinem momentanen Impuls folgt, ohne sich jemals die möglichen Folgen vor Augen zu führen. Erst im allerletzten, existentiellen Moment kommt die Umkehr, doch ohne diesen Extremreiz hätte er vielleicht nie einen Weg gefunden, seinem Jungen und Stéphanie seine Liebe zu erklären. Ein großer kleiner Junge, bullig, enorm körperlich, mal furchteinflößend und mal mitleiderregend und auf jeden Fall eine höchst ungewöhnliche Hauptperson in einer Liebesgeschichte. Dennoch gibt es ein paar Momente großer Zärtlichkeit und Schönheit, die hart mit den vielen schmerzlichen Augenblicken kontrastieren, denn um Schmerzen in jeglicher Erscheinungsform geht es hier besonders häufig. Stéphanie ist die einzige, die erkennt, dass Ali gar kein so grober, unsensibler Kerl ist, und sie ist die einzige, die Geduld und Nerven genug aufbringen will, um darauf zu warten, dass er sich ändert, obwohl auch sie x-mal von ihm getroffen und vor den Kopf gestoßen wird. Ihre Stärke ist der eigentliche Motor der Geschichte, ohne sie gäbe es überhaupt keine Geschichte, hätte nie eine Annäherung der beiden stattgefunden.
Marion Cotillard und Matthias Schoenhearts gestalten die aufzehrende, zermürbende tour de force mit fantastischer Bravour, nicht nur in den gemeinsamen, sondern auch in ihren einzelnen Szenen, sie sorgen unter anderem dafür, dass der Film nie zur schrillen Farce wird, obwohl auch Audiard als Regisseur hervorragende Arbeit leistet. Dies ist großes, mitreißendes, gelegentlich auch etwas anstrengendes Kino, das sich mit vollem Einsatz und beeindruckender Konsequenz dem sprichwörtlichen Schlachtfeld des Lebens widmet. (20.1.)