Frances Ha von Noah Baumbach. USA, 2012. Greta Gerwig, Mickey Sumner, Michael Esper, Adam Driver, Michael Zegen, Charlotte d’Ambroise, Grace Gummer
Draußen im Schaukasten hängen die beiden Plakate Seite an Seite, „Oh Boy!“ neben „Frances Ha“, und das passt schon ganz gut, denn beide Filme haben sehr viel gemeinsam. Moderne Großstadtgeschichten in bewusst klassischem Schwarzweiß, zärtliche Porträts zweier Endzwanziger, die ihr Leben nach unseren Durchschnittsmaßstäben nicht so recht in den Griff kriegen wollen. Einige Unterschiede sind nebensächlich: Frances ist kein Junge und Berlin ist nicht New York, okay. Andere wiederum prägen jeden Film dann doch für sich: Tom Schilling in Berlin ist geschlechtstypisch eher von der maulfaulen Sorte, während sein New Yorker alter ego Frances (ebenfalls geschlechtstypisch...) soviel plappert, als wolle sie den Eric-Rohmer-Gedächtnispreis gewinnen. Beide aber verschleiern damit instinktiv nur ihre häufige Rat- und Hilflosigkeit: Wo soll’s hingehen, was will ich, wer bin ich überhaupt? Im Gegensatz zu Niko hat die Frances schon ein gewisses Profil, ist eine Tänzerin mit Ambitionen, leitet kleine Gruppen und möchte unbedingt festes Mitglied ihrer Company werden. Doch da geht’s schon los – statt sich zu zeigen, sich reinzuhängen, zu kämpfen treibt sie schluffig durch’s Leben und muss sich immer wieder mit vollendeten Tatsachen konfrontieren lassen, und das zieht sich durch sämtliche Lebensbereiche. Alle sind immer irgendwie einen Schritt schneller und weiter als sie, auch die beste Freundin Sophie, die plötzlich einen Kerl hat und auszieht, sogar bis nach Japan. Frances kann von ihren mageren Einkünften die Bude nicht halten und driftet fortan von einer Schlafgelegenheit zur nächsten, ohne jemals ihre leicht entrückte, träumerische Aura abzulegen und sich dem wahren Leben zu widmen. Lieber quatscht sie witzig-verschrobenes Zeug und redet sich selbst ihr Leben schön. Dieser Selbstbetrug muss früher oder später an seine Grenzen stoßen, und folglich führen skurrile Umwege über ihr Elternhaus in Sacramento und das renommierte Vassar College in Poughkeepsie, die sie früher auch besuchte, ebenso wenig ans Ziel wie ein total verpeilter Dreitagetrip nach Paris, den sie jetlagbedingt weitgehend nachts wachend und tagsüber schlafend verbummelt. Doch bevor das ganze im völligen Fiasko endet, gestattet Autor Noah Baumbach sich und seiner liebenswerten Heldin eine freundliche Wendung, und am Schluss sieht es so aus, als könnte Frances etwas optimistischer nach vorn schauen: Sie choreographiert ihr eigenes Ballettstück und erntet viel Wohlwollen, und vor allem kommt Sophie zurück zu ihr und nach New York, sodass die beiden ihre innige Mädchenfreundschaft wieder aufnehmen können.
Stadtneurotiker halt, ein bisschen Woody Allen natürlich, ein bisschen Rohmer, wie schon erwähnt, viel Geschwätz, das sich stets und ständig selbst entlarvt, viel Flüchtigkeit und Oberflächlichkeit, alle und jeder machen ständig irgendwas und wollen ständig irgendwohin, über Sex wird pausenlos geredet, nur wird nie welcher gemacht, und aus Angst vor Stillstand ist jedermann immer unterwegs, nur weiß keiner genau, wohin eigentlich. Diese Bestandsaufnahme ist weißgott nicht neu, und galt, wie Mr. Allen ausführlich zeigte, für den New Yorker Kulturbetrieb schon vor dreißig Jahren plus, und es ist fast schon beruhigend festzustellen, dass sich unabhängig von allen Veränderungen und Entwicklungen und „Fortschritten“ der Mensch selbst so gar nicht gewandelt zu haben scheint. Baumbach nimmt dieser Erkenntnis aber alles Ernste und Mahnende, indem er sein Porträt als leichte, zarte Komödie anlegt, die sehr wohl geerdet ist und sowieso ohne platte „Gags“ auskommt, die aber alle Irrungen und Wirrungen auffängt, statt sie im Desaster enden zu lassen. Ein bisschen Fremdschämen ist manchmal angesagt, wenn Frances mal wieder gar nicht mitkriegt, wie alle anderen auf ihr verworrenes Geplapper reagieren, doch ist dies nie eine bösartige, negative Regung. Dazu ist Greta Gerwigs Präsenz einfach zu entwaffnend nett – diese etwas ungelenke, dann auch wieder attraktive Frau will niemandem etwas Böses und ist in ihrer Schusseligkeit und Rastlosigkeit ebenso liebenswert wie lebensnah dargestellt. Ihre weiten Wege durch die Stadt werden gesäumt von kleinen Tanzeinlagen oder immer wieder witzigen Begegnungen mit Menschen unterwegs, und überhaupt ist dieses New York kein feindlicher Lebensraum und darin wieder sehr der Stadt Woody Allens verwandt. Die Schwarzweißaufnahmen sind natürlich sehr attraktiv, die Hauptdarstellerin wie erwähnt wunderbar, und wer weiß, vielleicht haben Frances und Niko auch anderswo noch Brüder und Schwestern, die nur darauf warten, dass ihre Geschichte erzählt wird. (3.9.)