Ginger & Rose von Sally Potter. England, 2012. Elle Fanning, Alice Englert, Alessandro Nivola, Christina Hendricks, Jodhi May, Timothy Spall, Anette Bening, Oliver Platt
Freundinnen fürs Leben wollten sie werden, Ginger und Rose, beide 1945 in benachbarten Betten zur Welt gekommen und von Anfang an unzertrennlich. Gemeinsam engagieren sie sich für den Frieden, mucken gegen ihre öden und frustrierten Mamis auf, halten nach den ersten Jungs Ausschau, probieren erste Zigaretten und Rock’n Roll. Doch dann treiben sie doch langsam aber sicher auseinander – Ginger bleibt bei ihrem politischen Engagement, Rose kümmert sich eher um ihre sexuelle Erweckung, doch dass es ausgerechnet Gingers angehimmelter Papa Roland sein muss, droht die Freundschaft der Mädels zu zerreißen.
All dies trägt sich im Jahre 1962 zu, dem Jahr der Kubakrise, der Angst vor dem Atomkrieg und seinen Folgen vor allem in Europa. Aus der Jukebox klappert zwar immer noch bieder „Tutti Frutti“, im Radio aber spricht mahnend und dringlich Bertrand Russell, die Demonstranten entdecken die Straße für sich, die Polizisten ihre Knüppel. Die beiden Freundinnen erleben eine aufreibende Zeit, aufreibend vor allem deshalb, weil sie an so vielen Fronten fordert und zerrt. Rose vermisst einen Vater und leidet unter der aus ihrer Sicht tyrannischen und hoffnungslos biederen Mutter. Auch Ginger hat sich auf die Mama eingeschossen, vergöttert den Papa, übersieht auch lange Zeit sein ewiges Fremdgehen, das er sich ganz selbstverständlich erlaubt. Er ist Pazifist und Wehrdienstverweigerer, hat dafür im Krieg in Einzelhaft gesessen und sich danach geschworen, fortan nur noch nach seinen eigenen Regeln zu leben, was er auch innerhalb der Familie rücksichtslos durchzieht. Mal egozentrischer Machoarsch, mal ein netter Kerl, der bei Schubert heult, aber gedankenlos genug ist, um Rose zu vernaschen und vielleicht gar zu schwängern. Ginger ist erschüttert, fast traumatisiert über den Verlust ihres großen Idols, beschließt aber am Ende immerhin, Rose eines Tages zu verzeihen.
Sally Potter, deren Werke mit Ausnahme des „Orlando“ hierzulande ohnehin kaum zu sehen sind und die mich bislang eigentlich nur in „Yes“ überzeugen konnte, hat hier einen schlicht großartigen Film gemacht. Einen Epochenfilm, einen Initiations- und Erwachsenwerdenfilm, einen Mädchenfilm, mehr aber noch einen Frauenfilm, denn neben Ginger und in geringerem Maße Rose stehen auch noch anderen Frauen im Hintergrund, die durchaus Beachtung verdienen und von Buch und Regie auch beachtet werden. Natalie und Anoushka einerseits, die beiden Mütter, die beide im letzten Kriegsjahr 1945 entbinden, beide unter Angst und Schmerzen, die ebenfalls, so wie ihre Töchter eine anhaltende Freundschaft aufbauen und sich gegenseitig stützen und begleiten, als die eine ihren Mann gänzlich, die andere mindestens zum Teil verliert, beide ganz offenbar auch ihre Illusionen und Lebensfreude einbüßen und so zu dem werden, was ihre Töchter auf gar keinen Fall werden wollen. Frustrierte Muttis. Potter rückt diese Perspektive ganz unaufdringlich zurecht, ohne viele Worte darüber zu verlieren, vielmehr reichen ein paar Blicke und Gesten. Bella, die dritte Erwachsene im Bunde, repräsentiert die politisch und gesellschaftlich engagierte Frau, intellektuell, aufgeklärt, ein wenig distanziert, und aus der Entfernung betrachtet höllisch unverantwortlich mit ihren Weltuntergangsparolen, die der jungen Ginger zwangsläufig eine Heidenangst einjagen müssen, vor allem, als ihre übrige Welt gerade um sie herum in Trümmer fällt. Mit diesen Rollenvorbildern haben sich die Mädchen auseinander zu setzen, und sie tun es auch, mal in Form von Rebellion und hochmütiger Abnabelung, mal in Form von eifrigem Aktionismus. Das geht zum Teil ein wenig in die Hose, das erzeugt auch Verletzung, und das wird die beiden auf Dauer trennen, denn während sich Rose mehr und mehr zu Gingers Vater hingezogen fühlt und mit Politik und Literatur eigentlich auch noch nie viel anfangen konnte, bleibt die etwas ätherische und schöngeistige Ginger ihrem Kurs treu, weniger vielleicht aus echter Überzeugung, sondern eher aus dem Wunsch, irgendwohin zu gehören, denn nachdem sie voreilig die Mutter erließ und zum Vater zog, hat sie dort nun auch kein Zuhause mehr, seitdem Rose und Roland ein Liebespaar sind.
Neben den durchweg tollen Darstellern (vor allem Elle Fanning gibt wirklich eine bemerkenswerte Vorstellung) besticht „Ginger & Rose“ durch das perfekte Zusammenspiel von Drehbuch und Regie. Mal etwas spröde und wortkarg, dann wieder sehr einfühlsam und intensiv, empfindet Potters Erzählweise mit seltener Sensibilität die verschiedenen Gefühlsstadien nach, die die beiden Mädchen durchleben. Sie fügt die thematischen Elemente der Geschichte bruchlos zusammen zu einem Drama, das ohne jede Längen und Sentimentalitäten auskommt, das schön, mitreißend und sehr gefühlvoll ist. Kurz: Großes (kleines) Kino! (16.4.)