Hannah Arendt von Margarethe von Trotta. BRD/Frankreich/Luxemburg, 2012. Barbara Sukowa, Axel Milberg, Janet McTeer, Julia Jentsch, Ulrich Noethen, Michael Degen, Nicholas Woodeson, Victoria Trauttmannsdorff, Klaus Pohl, Friederike Becht
Sowas gibt’s tatsächlich noch – Kopfkino im guten Sinne, spannend, auf- und anregend, Kino mit Tiefgang und Nachhall. Man kommt raus und will am liebsten stundenlang diskutieren. Das ist verdammt selten geworden, umso kostbarer natürlich sind die raren Exemplare dieser Spezies, und ausgerechnet unsere olle Politomi Mäggie von Trotta hat jetzt ein solches hinbekommen, und zwar ein wirklich ganz besonders gutes.
Im Wesentlichen beschäftigt sich der Film mit Hannah Arendts Aufsatz über Adolf Eichmann und die Reaktionen darauf. Als Eichmann 1960 vom Mossad in Argentinien verschleppt und nach Jerusalem gebracht wird, lebt Arendt seit fast zwei Jahrzehnten schon in New York, besitzt seit fast einem Jahrzehnt die US-Staatsbürgerschaft und gehört mit ihrem Man zur intellektuellen Gesellschaft, ist gut befreundet mit Mary McCarthy und nimmt mit Begeisterung den Auftrag des New Yorker an, nach Jerusalem zu reisen, dem Prozess beizuwohnen und anschließend einen oder mehrere Berichte darüber zu verfassen. Mit Stolz und Begeisterung reagieren auch ihre Freunde, sowohl in New York als auch in Israel, mit großer Erwartung hofft die Redaktion der renommierten Kulturzeitschrift auf ein angemessenes Ergebnis. Das aber fällt ganz anders aus. Schon während des Prozesses erkennt Arendt, dass sie ihr bisheriges Bild vom Nazi-Massenmörder revidieren und durch ein anderes, viel komplexeres und leider auch unbequemeres ersetzen muss. Sie entwickelt den Gedanken von der Banalität des Bösen, der später auf wütende Kontroversen stoßen würde. Sie sieht klar, dass Eichmann alles andere ist als ein dämonischer Schlächter, der in die tradierten Kategorien des Begriffs „Böse“ einzusortieren wäre. Vielmehr verkörpert Eichmann nach Arendts Auffassung eine neue Dimension des Bösen, die Dimension des 20. Jahrhunderts, das Böse in Gestalt eines durch und durch mittelmäßigen, farblosen, durchschnittlichen Bürokraten, der jegliche Schuldeinsicht von sich fernhält, indem er sich hinter Befehlen, Vorgaben, Richtlinien verschanzt und den Gegenstand seiner Unternehmungen versachlicht. Seine Opfer waren keine einzelnen Menschen, sondern Stückgut, das in großen Mengen verschoben werden musste und lediglich ein logistisches Problem darstellten, das wiederum den Bürokraten vor die reizvolle Aufgabe stellte, in ganz neue Bereiche der Effizienz vorzudringen. Eichmann verkörperte damit auch einen neuen Typus von Totalität und Diktatur, der auf der völligen Entmenschlichung der Opfer basiert. Zurück in New York wird Arendt lange brauchen, um ihre Gedanken in die passenden Worte zu fassen, und als die Texte schließlich erscheinen (erst gut ein Jahr nach Eichmanns Hinrichtung), lösen sie vor allem in jüdischen Kreisen Empörung und Zorn aus. Zorn über die vermeintliche Verharmlosung von Eichmanns Verbrechen und vor allem ein großer Zorn über Arendts Darstellung der Rolle der Judenräte. Arendt wird gar vorgeworfen, sie mache die Juden am Ende selbst für den Holocaust verantwortlich, indem sie beschreibt (und zwar zutreffend beschreibt), dass einige Mitglieder der Räte mit den Nazis kooperiert hätten. Gerade mal fünfzehn Jahre nach Beendigung des Massakers war dies natürlich total tabu und unerträglich und trug Arendt wütende Anfeindungen, Ausgrenzungen und sogar Drohungen ein. Langjährige Freunde wandten sich von ihr ab, in der New Yorker Kulturschickeria wurde sie mit Vorliebe an den Pranger gestellt, zahllose sehr feindselige Polemiken überschwemmten die Gazetten, und ihren Lehrstuhl am Brooklyn College wird sie wohl auch los. Dennoch lässt sie sich von nichts und niemandem davon abbringen, ihre Überzeugung zu vertreten und dies auch öffentlich kundzutun. Einer der wichtigsten Leitfäden ist ihr dabei die Erfahrung aus der Beziehung zu Martin Heidegger, der ihr philosophischer Ziehvater war, später auch mehr als das, und der sie bodenlos enttäuschte, als er den NSDAP beitrat. Von Heidegger wurde sie entscheidend ermutigt, ihre eigenen Auffassungen vom Denken zu stärken und zu vertreten, und jene Auffassungen waren es auch, an denen sie unbeirrt festhielt, als auch einige ihrer besten und längsten Freunde und Begleiter ihr bittere Vorwürfe über ihre vermeintliche Arroganz und Kälte machten.
Der Film beschäftigt sich aber auch eingehend mit der Privatperson Hannah Arendt, ihrem Eheleben mit Heinrich Blücher, ihren Erinnerungen an Heidegger, ihrer Freundschaft mit Mary McCarthy, in der sie eine ebenbürtig scharfzüngige und feigeistige Partnerin findet, und ihrem Leben mit anderen Emigranten und Intellektuellen in New York. Die Szenen in Jerusalem schließlich beleuchten ihre Haltung zum Zionismus und zu Werten wie der „Liebe zum eigenen Volk“. Kurze Dokumentarszenen fassen den Eichmannprozess zusammen und erinnern an einige seiner markanten Aussagen, die Arendt zu ihrem Urteil bewogen.
Trotta hat daraus keinen trockenen Thesenfilm gemacht, aber dennoch ein sehr konzentriertes, komplexes Werk, dem man sich nur schwer wird nähern können, wenn man über die Geschichte nichts weiß. Die spezifische Qualität Eichmanns als biederer Befehlsausführer beispielsweise kommt in den Verhörprotokollen mit Avner Less natürlich viel ausführlicher und furchtbarer zum Ausdruck, als in den kurzen Szenen im Film, und erst mit diesem Hintergrundwissen wird Arendts bitterer, oft fast sarkastischer Tonfall verständlich, ebenso wie ihre unbedingte Entschlossenheit, mit den alten Bildern vom Bösen ein für allemal aufzuräumen. In einer brillanten Szenen ganz kurz vor Schluss nimmt sich Arendt anlässlich einer Vorlesung noch einmal den Raum, ihren Studenten (und auch einigen ihrer Gegner) ihre gedanklichen Ansätze darzulegen, und sie tut dies auf höchst eindrucksvolle und nachhaltige Weise. In diesen unerhört intensiven Minuten umreißt sie ihr gesamtes philosophisches Konzept und erklärt, weshalb sie zu solch einem Urteil über Eichmann kommen musste. Spätestens da hatte mich der Film restlos fasziniert und überzeugt, aber auch schon vorher beeindruckte er durch Trottas konsequent ruhige, intensive Erzählweise, die die private Perspektive perfekt mit der öffentlichen, politischen, zeit- und denkgeschichtlichen verknüpft, und ein sehr komplexes Bild der Philosophin und Intellektuellen präsentiert. Barbara Sukowa, die sowieso hinreißend aufspielt und den Film mit Bravour trägt, ist gerade in jenen Szenen am stärksten, die Arendts Mut zeigen, ihren festen Willen, ihren Ansichten treu zu bleiben und sämtliche Kritik beiseite zu fegen als ein lediglich temporäres Aufflackern. Daraus Arroganz und Kälte abzuleiten, war durchaus naheliegend, der Film aber zeigt natürlich ein ganz anderes Bild. Arendt ließ sich lediglich in keiner Weise von vermeintlichen Tabus oder Traditionen beeinflussen, sie schrieb genau das auf, was sie gesehen und gehört und was sie daraus geschlossen hatte, und zwar ohne jede Rücksicht auf mögliche Konsequenzen – vielleicht hatte sie auch nie an die Möglichkeit gedacht, die jüdischen Überlebenden des Holocaust mit ihren Artikeln dermaßen vor den Kopf zu stoßen. Gleichfalls hatte sie offenbar angenommen, die Leute werden ihre Artikel lesen und sich offen damit auseinandersetzen – genau dies aber ist leider nicht geschehen, wie auch im Film deutlich zum, Ausdruck kommt. Der überwiegende Teil der Polemiken und Hasstiraden offenbarte, dass die Verfasser nicht bereit oder nicht in der Lage waren, sich mit Arendts Äußerungen und Ansätzen wirklich zu beschäftigen, auf Arendts Sichtweise einzugehen und von dort aus zu urteilen. Stattdessen ließ man sich von den Äußerungen über Eichmann und die Judenräte davon abhalten, die Texte im ganzen zu lesen und zu verstehen, obwohl Arendt immer wieder unmissverständlich zum Ausdruck bringt, was sie über Antisemitismus, die Nazis und Eichmann im besonderen denkt und wie sehr sie jede Form von totalitärer Herrschaft verabscheut. Aber auch ihre Meinung zu dem Prozess an sich und zum pathetischen Auftreten des Hauptanklägers war zu unbequem, zu kritisch, zu provokativ und stieß unweigerlich auf heftige Gegenwehr.
Vielleicht hat mir der Film auch nur deshalb so gut gefallen, weil mich das Thema schon lange interessiert und ich Hannah Arendts „Eichmann in Jerusalem“ noch immer äußerst beeindruckend und anregend finde. Abgesehen davon aber ist Trotta ihr bester film seit Ewigkeiten, wenn nicht sogar ihr bester überhaupt geglückt, ganz ohne Melodrama oder Trutschigkeit, ganz fokussiert, glänzend gespielt, ebenso glänzend fotografiert und auch mit dem Mut geschrieben, Nicht jedes Detail erklären zu wollen. Hier muss man eben mal nachher noch ein bisschen nachlesen, aber man tut’s auch gern, weil der Film einfach so spannend ist. Ein großer Film über eine große Denkerin, die es mehr als verdient hat, auf diese Weise mal wieder auf breiteres Interesse zu stoßen. (16.1.)