Hitchcock von Sache Gervasi. USA, 2012. Anthony Hopkins, Helen Mirren, Scarlett Johansson, Jessica Biel, Toni Collette, Danny Huston, Michael Wincott, James d’Arcy

   Alfred Hitchcock ist einer der großen mythischen Figuren Hollywoods, Genie und Selbstdarsteller in einer Person, Gegenstand zahlreicher Spekulationen, sensationslüsterner Biographien und ambitionierter Projekte, ebenso umstritten als Privatperson wie unangetastet, was seine Meriten für die Kunst angeht. Dass jetzt innerhalb kurzer Zeit zwei Biopics erscheinen, war längst überfällig, ob sie allerdings in irgendeiner Form zur Erhellung oder auch Bereicherung des Mythos’ Hitchcock beitragen, sei dahingestellt. Ich kenne nur diesen Film hier und kann sagen, dass ich ihn nicht sonderlich erhellend fand.

   Es geht um die Entstehungsgeschichte von „Psycho“, jenem legendären Schwarzweißschocker von 1960, nur ein Jahr nach dem fröhlichen Technicolorspektakel „North by Northwest“ entstanden, weshalb er vielleicht als besonders schockierend empfunden wurde, weil er in allem so anders war, weil er sich bewusst an gesetzten Tabus vergriff, weil sich Hitchcock damit insgesamt in mehrfacher Hinsicht von den 50er Jahren verabschiedete und zugleich den Grundstein für ein finsteres Genre legte. Im Grunde aber mogelt der Filmtitel ein wenig, er sollte fairerweise „Hitchcock and Alma“ oder so heißen, denn Alma Reville steht in gleichem Maße im Mittelpunkt wie ihr Gatte, ihr Beitrag zur Fertigstellung von „Psycho“, wie auch vielen anderen seiner Filme wird zu Recht hervorgehoben. Ihrem Urteil vertraute er nach jahrzehntelanger Zusammenarbeit unbedingt, ihrem scharfen Gehör für gute Dialoge, ihrem ebenso scharfen Blick für’s Detail, und nicht umsonst dankte er besonders ihr, als ihm kurz vor seinem Tod endlich doch der Ehrenoscar ausgehändigt wurde. Eine tolle Rolle, eine vitale, ironische, starke, kritische Frau, stark genug, an der Seite des mächtigen Genies zu bestehen, stark genug auch, über seine allzu offen zur Schau gestellte Vorliebe für blonde Hauptdarstellerinnen auszuhalten, seinen altväterlichen Voyeurismus, seine peinlichen geschmacklichen Ausrutscher. Sie stand zu ihm, stand gleichsam stets in seinem Schatten, ohne ihr eigenes Gesicht oder ihre Würde zu verlieren. Helen Mirren hat überhaupt keine Mühe, den Film mit dieser, ihr quasi auf den Leib geschneiderten Rolle zu dominieren. Ihre fabelhafte Darstellung ist die Hauptattraktion, für mein Gefühl jedenfalls, und nicht Hopkins’ Porträt des Meisters. Das ist sicherlich ein sauberes Stückchen Kunst, perfekt einstudiert und vorgetragen, jeder Manierismus sitzt, die Sprache ist präzis gedrechselt, die Bewegungen des wuchtigen, unförmigen Körpers akkurat nachempfunden. Ich für meinen Teil habe immer ein Problem mit solchen Vorführungen, die handwerklich sicherlich makellos sind, aber in ihrem Kern keine Seele haben. Dieser Hitchcock ist wie eine riesengroße Puppe, ein Clown, skurril, fremd, wie ein Ausstellungsstück im Wachsmuseum. Innerlich tot. Da hat Hopkins natürlich schon sehr viel bessere Leistungen gezeigt, vielleicht auch deshalb, weil er diesmal von einem ideenlosen Regisseur zu wenig gefordert, oder besser, herausgefordert wurde. Alle Klischees, die einem zu Hitchcock einfallen, sind am Platz, die exzentrischen britischen Kulturüberreste, die besitzergreifende Selbstsucht, die behäbige Überheblichkeit, das Geifern und Glotzen durchs Loch in der Wand. Die knackige Janet Leigh (trefflich verkörpert von der noch knackigeren Scarlett Johansson) wird gleich aufs Korn genommen, nachdem Vera Miles ausgemustert worden war, weil die es gewagt hatte, eigene Wege zu gehen und lieber schwanger zu werden, statt dem Meister weiterhin zur Verfügung zu stehen. Hier begnügt sich der Film mit ein paar Andeutungen und vagen Episoden, statt einmal konkret zur Sache zu kommen, und so haben Johansson und Biel in ihren Rollen kaum etwas zu tun. Hitchcocks Gefechte mit Produzenten, Studiobossen und Zensurbehörden sind zweifellos gut getroffen und belustigend, die ganze Episode mit Helen Mirren und dem wie immer bräsig-klotzigen Danny Huston fand ich total überflüssig, die Szenen mit Massenschlächter Ed Gein, der Hitchcock in dessen Träumen erscheint, wirken befremdlich und für mich eher spekulativ, und die wenigen Impressionen vom Dreh selbst bleiben bruchstückhaft und leider viel zu kurz. Einzig die Ehe Hitchcock-Reville bekommt gebührenden Raum, doch gerade dieser Teil der Geschichte hat mich am wenigsten interessiert, weil er halt privat ist und immer auch Spekulation bleiben muss.

 

   So gesehen ein Film, der leidlich unterhält, der sich aber viel zu wenig traut und inhaltlich keine klaren Akzente setzt. Keine unkritische Denkmalanbetung, aber auch keine wirklich fundierte Auseinandersetzung mit dem Menschen Alfred Hitchcock, laviert das ganze Projekt unentschlossen zwischen Wollen und Können, wenn man so will, will niemanden vor den Kopf stoßen, tut aber trotzdem so, als erzähle er uns die letzte Wahrheit. Wer sich mit der Geschichte ein wenig auskennt, wird Spaß an einigen Anspielungen oder Einzelheiten haben, wer gern Klatsch und Tratsch aus alten Zeiten zu hören kriegt, mag eventuell auch auf seine/ihre Kosten kommen, Helen-Mirren-Fans sei der Besuch gar ans Herz gelegt, aber ansonsten ist man, glaube ich, besser beraten, sich einen Film des Meisters selbst anzusehen. Und warum nicht gleich „Psycho“...? (19.3.)