Inside Wikileaks von Bill Condon. USA/Belgien, 2013. Benedict Cumberbatch, Daniel Brühl, Alicia Vikander, Carice van Houten, David Thewlis, Peter Capaldi, Laura Linney, Stanley Tucci, Anthony Mackie, Dan Stevens

   Ich gestehe, dass mich der ganze Wirbel um diese “Enthüllungsplattform” bislang nicht recht tangiert hat, aber dieser Film hat was daran geändert, er hat mich und meinen ewigen Kollegen sogar zu einer Art Nachbesprechung angeregt – und das adelt ihn fast schon. Ein Film, der beschäftigt, der sicherlich zu Diskussionen anregen kann, und damit wäre schon deutlich mehr erreicht, als man gewöhnlich erwarten kann. Der Aufstieg von Wikileaks zu einer weltweit beachteten, gefürchteten und umstrittenen Größe - zwei Stunden Schweinsgalopp durch ungefähr drei Jahre internationale Geschichte, mal im Hackermilieu, mal aber auch auf der großen Bühne zwischen Berlin, London, Washington und dem unvermeidlichen Nahen Osten. Einer der Quellengeber war Daniel Berg, selbst Teil der Geschichte, für längere Zeit enger Weggefährte von Julian Assange, schließlich im Streit von ihm quasi gefeuert worden, und das muss man unbedingt im Hinterkopf haben, wenn man die gesamte Perspektive der Geschichte nicht von vornherein total schräg finden will. Denn im Grunde ist uns der Herr Berg die ganze Zeit viel näher als Assange, der mysteriös, fremd, fern bleibt, im Grunde wird viel eher Bergs Geschichte erzählt als die von Assange, und wer was anderes erwartet hat, wird sicher enttäuscht sein. Gleichfalls enttäuscht sein wird, wer einen chronologisch sauberen, übersichtlichen und in allen Teilen nachvollziehbaren Ritt durch die Ereignisse erhofft hat, denn das bietet Condons Film todsicher auch nicht. Eine rasante, mitunter auch ein wenig selbstverliebte Montage, ziemlich auf hip und cool getrimmt, in vieler Hinsicht aber vielleicht auch ihrem Thema angemessen, denn es geht ja eigentlich um eine Parallelwelt, die mit uns Normalos nicht sehr viel zu tun hat, ein zugleich atemberaubendes und furchterregendes Universum ohne Grenzen, das den Jungs mit den entsprechenden Fähigkeiten ebenso furchterregende Macht in die Hände spielt. Privatheit gibt’s nicht, Sicherheit gibt’s nicht, Geheimnisse natürlich erst recht nicht – je nachdem, von welcher Seite aus man argumentiert, kann dies als endgültiger Sieg der Demokratie gesehen werden oder auch als Alptraum für Politik, Diplomatie und Wirtschaft. Wikileaks veröffentlicht kompromisslos geheime Dokumente, deckt Korruption auf, Menschenrechtsverletzungen, Wirtschaftskriminalität in großem Stil, bringt Großbanken zu Fall, bringt ganze Staatsgefüge in Bedrängnis, zwingt die Großen, Mächtigen endlich dazu, zu ihren Schweinereien öffentlich Stellung zu beziehen. An sich ein Traum, der zu einem Alptraum werden könnte, wenn diese immense, unvorstellbare Macht in die falschen Hände gerät. Die bleibende, zentrale Frage ist und bleibt: Warum tun sie’s – geht’s ihnen wirklich um hehre Ideale, um Aufklärung, um die Demokratisierung von Informationen, um die Enthüllung von Lügen, Intrigen, Verbrechen, oder ist den genialen Hackerjungs irgendwann ihr Ruhm zu Kopf gestiegen und das Ding hat sich verselbständigt? Assange und Berg entzweien sich gerade an diesem Punkt, als Berg beginnt, an Assanges Ethik zu zweifeln und ihm vorzuwerfen, er betreibe sein Geschäft nur zur Selbstbeweihräucherung und nicht, weil es ihm, wie er immer behauptet, um die Wahrheit geht. Assange reagiert verletzt und aggressiv, er feuert Berg und beginnt eine Schmutzkampagne gegen ihn, Berg und einige, die wie er denken, ziehen sich aus Wikileaks zurück.

   Das ständige Bombardement mit Schauplätzen, Handlungsfetzen und Schnittmontagen ist nicht mal das größte Problem an diesem Film. Der zwar prinzipiell interessant und anregend ist, wie gesagt, der aber leider zwei sehr gravierende Schwächen hat.

   Erstens ist die Dramaturgie eine einzige Katastrophe, unausgegoren, unausgewogen, unbefriedigend. Atemlos geht’s voran, allzu viele interessante Themen werden links und rechts passiert und zudem werden einige Nebenfiguren und –Geschichten eingeführt, die mich persönlich nicht die Bohne interessiert haben. Die Nöte einer US-Staatssekretärin (Laura Linney) sind mir in diesem Zusammenhang ebenso piepenhagen wie der Versuch eines syrischen Informanten, sich und seine Familie in Sicherheit zu bringen. Das sind Stories für sich und haben hier einfach keinen Platz. Spannende Figuren wie etwa Daniel Bergs Ehefrau Anke Domscheit bleiben total blass, schematisch, geradezu verzerrt und wären in dieser Form besser ganz weggefallen.

   Zweitens ist die Darstellung von Benedict Cumberbatch schon ziemlich merkwürdig, um es vorsichtig auszudrücken. Exaltiert, manieriert, stilisiert, viel eher eine Karikatur als ein ernstzunehmendes Porträt. Assange wird hier zu einem egozentrischen, autistischen Narziss, der die Leute mit verächtlicher Arroganz behandelt, sich selbst als Produkt einer zerstörten Kindheit stilisiert und im Grunde keinen Gott neben sich duldet. Vor allem bleibt die Frage, ob dies nur Bergs Version ist, die Version eines Zurückgewiesenen, Verletzten, Enttäuschten, oder eine halbwegs glaubwürdige Ansicht. Egal wie, die eigentlich zentrale Figur des Films wird auf ziemlich polemische Weise sehr unsympathisch gemacht, die sich zudem fast nur in pompösen Plakatphrasen äußert und als Mensch kaum jemals zum Vorschein kommt. Ich persönlich finde Cumberbatch einfach schlecht und habe so was von ihm nicht erwartet. Er fällt umso mehr aus dem Rahmen, als drumherum jede Menge illustrer Leute sehr ordentliches abliefern, auch wenn Brühl ein bisschen zu brav und blass bleibt (wahrscheinlich sieht sich Berg selbst so) und Alicia Vikander eine total undankbare Rolle als Schmalspurversion einer an sich viel interessanteren Frau spielen muss.

 

   Also: Ein interessanter Film muss nicht unbedingt ein guter sein, beides geht auch nebeneinander. Wieder was gelernt... (5.11.)