La grande bellezza von Paolo Sorrentino. Italien/Frankreich, 2012. Toni Servillo, Carlo Verdone, Sabrina Ferilli, Carlo Buccirosso, Iaia Forte, Pamela Villoresi, Galatea Ranzi, Franco Graziosi

   Mit den Filmen Frederico Fellinis, vor allem den späteren ab cirka 1960, bin ich nie so recht warm geworden, jenen üppig ausufernden Fantasien, die einerseits selbst in Dekadenz schwelgten, diese andererseits aber auch bewusst ausstellen wollten, und mich inhaltlich irgendwie nie betroffen haben. Is halt so.

   Sorrentino erweist in „La grande bellezza“ dem Hofnarren des italienischen Kinos eindeutig seine Reverenz, transportiert viele typische Fellinimotive und –momente ins nächste Jahrtausend und vergisst auch die berühmt-berüchtigte Ambivalenz nicht, die halt so charakteristisch ist zumindest für einen Teil der italienischen Filmproduktionen. Wenn man so will, ist sein Jep Gambardella in vielem ein Nachfahre von Guido Anselmi aus „Achteinhalb“, ein Mann in einer Schaffenskrise, heimgesucht von Visionen und Erinnerungen, auf der Suche nach einer Perspektive und einer Identität. Jep ist ein Fünfundsechzigjähriger, der sich selbst halbwegs am Ende seines Lebens wähnt und bereits Bilanz ziehen will, zugleich in seiner Rolle als Zeitungsreporter und Gesellschaftskolumnist Teil oder auch Protagonist einer Szene, die er abwechselnd mit Faszination und Abscheu betrachtet. Das römische Kunst- und Partyvolk lebt in einer Art Paralleluniversum, in einem einzigen endlosen Feierrausch zwischen exquisit und fast schon obszön üppig gestalteten Events und dem ebenso unvermeidlichen Kater danach. Jeps scharfe und bisweilen auch unbarmherzig präzise Beobachtungen entlarven Lebenslügen in jeder Form, auch seine eigenen, von denen es scheinbar nicht wenige gibt, und er weiß jederzeit, dass er dieser völlig oberflächlichen, eitlen und hohlen Schar weder entfliehen möchte noch kann. Er ist ein Teil von ihnen und hat sich damit abgefunden, hat es sich wie andere auch angewöhnt, eine Art schicken Fatalismus zu entwickeln, eine Fassade, hinter der er es sich bequem machen kann, wenn ihn mal wieder Zweifel oder Fragen plagen. Um sich herum Volk aus Mode, Theater, Kunst, Literatur, die alle unentwegt schwätzen und schwafeln und sich selbst was vormachen und ab und zu auch mal eine erbärmliche Performance hinkriegen, im Grunde aber suhlt man sich nur im Reichtum, in der eigenen Schönheit oder jagt der Schönheit anderer nach und schmückt sich damit. Ein Leben, das nicht mehr von der Stelle kommt, und manchmal ist Jep sich dessen klar bewusst, und dann wieder lässt er es genauso lethargisch und passiv über sich ergehen wie der Rest des Mobs. Einem Freund gegenüber offenbart er schließlich, dass er eigentlich immer nur nach dem einen Moment perfekter Schönheit gestrebt hat, und ganz zuletzt erleben wir auch diesen Moment – den er natürlich als Achtzehnjähriger erkennen konnte und den er nie festhalten konnte, genau wie die Frau, um die es ging.

   Ein zweieinhalbstündiger Rausch aus Bildern und Musik, grandios komponiert, grandios verwoben, gestaltet und montiert, bisweilen ein wenig anstrengend, bisweilen ein wenig gestelzt und kapriziös, genau wie die Menschen, die hier vorgestellt werden, mal sehr bissig und satirisch, dann wieder melancholisch und ein wenig zum Selbstmitleid neigend. Genau wie Jep ist man mal mittendrin im parfümierten Trubel und mal als Betrachter außen vor und hat die Möglichkeit, die sogenannte „Lebenslust“ mit etwas anderen Augen zu betrachten. Ich bin mir nicht mal sicher, ob Sorrentini mit seinem Film tatsächlich ein ernsthaftes Porträt des modernen Rom anstrebt, zumal die Stadt mit Sicherheit ungleich viel mehr Facetten hat, als hier zu sehen sind (denn das wären erschreckend wenige); es geht viel eher um eine ganz bestimmte und zahlenmäßig durchaus auch beschränkte Clique, die sich wohl gern als Elite bezeichnet, und die leider auch in der Lage ist, eine menge Strippen zu ziehen, wenn es darauf ankommt. Wie in jedem Land sind die Geschäfte und Interessen der oberen Zehntausend eng verknüpft, das muss nicht mal deutlich gezeigt werden, schwingt aber stets mit. Umso trister und niederschmetternder wirkt der hektische Hedonismus, ein Hamsterrad, aus dem es scheinbar keinen Ausstieg gibt, denn wer dazu gehören will, hat den Preis zu zahlen, hat mitzumachen und auch mitzufeiern, egal ob die Posen langsam grotesk werden oder nicht. Anders als in “Il Divo“ hat Sorrentino diesmal kein konzentriertes Kammerspiel in Szene gesetzt, das wäre dem Sujet auch kaum gerecht geworden. Er fabuliert streckenweise brillant und launig, verliert immer mal die Distanz zum eitlen Treiben, hat aber mit Jep (erneut glänzend dargestellt von Toni Servillo) einen wunderbaren Protagonisten, dessen Posen, Stimmungen und Erinnerungen ich gerne verfolge (wenn auch nicht teile), weil er im Gegensatz zu seinen Mitstreitern wenigstens von Zeit zu Zeit die Bereitschaft oder Fähigkeit mitbringt, über das nachzudenken, was um ihn herum und mit ihm geschieht.

 

   In erster Linie aber würde ich den Film als ein brillant gestaltetes Fest für die Sinne betrachten, dessen Bilder und Soundtrack mich fasziniert haben, der in seiner Sprunghaftigkeit und erst recht über die lange Distanz hinweg nicht immer ganz leicht zu verfolgen ist. Womit ich wieder bei Fellini wäre, nur dass mich „La grande belleza“ im Gegensatz zu dessen Filmen streckenweise auch berührt und sogar begeistert hat. (6.8.)