Lincoln von Steven Spielberg. USA, 2012. Daniel Day-Lewis, Sally Field, David Strathairn, Tommy Lee Jones, Joseph Gordon Levitt, James Spader, Hal Holbrook, John Hawkes, Jackie Earle Haley, Lee Pace
Balsam für die verstörte Volksseele: In Zeiten des Kummers und Zweifelns tut es Not, sich auf die Wurzeln zu besinnen, sich zu erinnern, wie der amerikanische Traum Wirklichkeit wurde, wie aus einer zerstrittenen Rotte von bunt gemischten Immigranten God’s Own Country wurde. Großväterchen Abe ist eine Kultfigur in diesem System, und nachdem sich Robert Redford im letzten Jahr mit den Hintergründen seiner Ermordung beschäftigt hat, erzählt Steven Spielberg nun die Geschichte des 13. Zusatzartikels zur Verfassung der Vereinigten Staaten, in dem bekanntermaßen die Sklaverei für Unrecht erklärt und vielmehr die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz postuliert wird. Die Sklaverei war der zentrale Zankapfel zwischen den verfeindeten Nord- und Südstaaten, ihre drohende Abschaffung durch den Präsidenten war ein Auslöser des Sezessionskriegs und Lincolns wichtigstes politisches Ziel. Wir sehen hier, wie er in den Tagen und Wochen vor der entscheidenden Abstimmung im Repräsentantenhaus mit allen Mitteln versucht, die nötige Zweidrittelmehrheit zu ergattern, wie seine Leute Tag und Nacht unterwegs sind, um Schwankende zu rekrutieren, unter Druck zu setzen, mit Versprechungen zu locken, teils schlicht zu erpressen und wie er sich immer wieder dem erbitterten Widerstand in den eigenen Reihen und natürlich denen der Demokraten stellen muss. Besonders heiß diskutiert wird die Frage, ob dem Präsidenten die Abschaffung der Sklaverei am Ende sogar wichtiger sei als die Beendigung des Bürgerkriegs. In der Tat pokert Lincoln sehr hoch, stellt die Friedensverhandlungen durch Tricks immer wieder nach hinten, will erst seinen Artikel durchbringen und sich dann mit den Konföderierten hinsetzen. Das geht dann auch beinahe schief, die ersten Verhandlungen werden abgebrochen, als Lincolns Täuschungsmanöver ans Licht kommen, doch früher oder später muss der erschöpfte Süden aufgeben, und am 9. April 1865 salutiert General Grant respektvoll vor seinem ewigen Widersacher General Lee. Ein paar Schlaglichter aus Abes Privatleben werden auch integriert, das schwierige Verhältnis zur Ehefrau und zum ältesten Sohn, der kämpfen will gegen den Willen seiner Eltern, die vor ihm bereits einen Jungen im Krieg verloren hatten, der sich durchsetzt und überlebt. Tja, und am Schluss ist Lincoln tot, eines von vielen Opfern amerikanischer Dummheit, Einfalt und Brutalität.
Das sagt Spielberg so natürlich nicht. Spielberg enthält sich leider auch eines Ausblick auf die Jahrzehnte nach Inkrafttreten des Zusatzartikels, obwohl sich der Rückspann für ein paar Schlaglichter darauf angeboten hätte, wie es denn mit der beschworenen Gleichheit wirklich aussieht. Stattdessen bietet er eine gründliche, sehr detailfreudige Chronik einiger weniger Monate im Winter und Frühjahr 1865. Den Vorteil dieser sinnvollen Eingrenzung kann sich Spielberg voll zunutze machen – der Film ist äußerst spannend, interessant, intensiv. Er lässt nicht nur eine vergangene Epoche lebendig werden, er führt auch die Mechanismen der Politik, der Meinungs- und Mehrheitsbildung überaus anschaulich vor. Manipulation, Intrige, wüste Polemik, Schicksalsentscheidungen, grundsätzlichste Glaubensfragen, alles kommt hier auf die Waagschale, und wie wenig Filme vor ihm hat „Lincoln“ es fertig gebracht, Dringlichkeit und Emotionen in der Politik abzubilden. Spielberg leistet sich in den zweieinhalb Stunden einige sehr ausgedehnte, ruhige Passagen, in denen auch der Privatmann zu Wort kommt, doch wirkliche Längen entstehen eigentlich erst gegen Ende – der Film ist schlicht zehn Minuten zu lang, der ganze Epilog nach der dramatischen und wirklich fieberhaft spannend geschilderten Abstimmung im Kongress ist meines Erachtens nach überflüssig, vielleicht mit Ausnahme der Kapitulationsszene, die uns immerhin dahingehend beruhigt, dass Lincoln auch das andere große Ziel umsetzen kann.
Spielberg wäre nicht Spielberg, wenn ihm zwischendrin nicht immer doch ein paar arg menschelnde und gefühlige Augenblicke unterliefen. Natürlich ist der Film in einer Hinsicht eine Nacherzählung historischer Gegebenheiten, aber er lässt sich natürlich noch ganz anders sehen, nämlich als einen Appell an die US-amerikanischen Urtugenden: Freiheit, Toleranz, Demokratie, Aufrichtigkeit, Kampfgeist undsoweiter. Am Ende des Films lässt er Lincoln noch mal seine Antrittsrede anlässlich seiner Wiederwahl 1864 halten und darin genau dieses Credo verkünden. Amis haben nun mal ein Faible für diese Sorte Pathos und Patriotismus, obwohl ich fairerweise sagen muss, dass Spielberg über weite Strecken ohne auskommt und sich wohltuend im Zaum hält. Dazu trägt auch maßgeblich Daniel Day-Lewis bei, der ja nun der am wenigsten melodramatische aller Schauspieler ist und für so was auch nicht zu haben wäre, während Sal Field leider doch sehr in diese Richtung drängt. Aber Day-Lewis gestaltet den Film mit seiner gewohnten Brillanz, liefert ein ruhiges, nachdenkliches, genaues Porträt (auch wen er einmal zuviel den kauzigen Märchenonkel geben muss) und macht den Film allein schon zu einer sehenswerten Sache. Aber Spielberg hat auch viele ausgezeichnete und charaktervolle Typen drum herum gruppiert, und so geraten gerade die Streitereien im Repräsentantenhaus zu einer furios gespielten Delikatesse.
Alles in allem ist dies zu einhundert Prozent US-Kino – aber ich habe schon sehr viel schlechtere Filme über dieses oder ähnliche Themen gesehen, und so gesehen muss man Spielberg wie so häufig das Attribut „respektabel“ zuerkennen. (10.2.)