Michael Kohlhaas von Arnaud des Pallières. Frankreich/BRD, 2012. Mads Mikkelsen, Mélusine Mayance, Delphine Chuillot, David Kross, Paul Bartel, David Bennent, Bruno Ganz, Roxane Duran, Denis Lavant, Sergi Lopez

   In wilder, eindrucksvoll schroffer und karger französischer Landschaft trägt sich Kleists klassisches Drama um Rache und Gerechtigkeit zu. Die genaueren Umstände der Geschichte mögen abgewandelt worden sein, ihre Essenz blieb auf eindrucksvolle Weise erhalten. Dem Pferdehändler Kohlhass widerfährt durch Willkür und Machtmissbrauch der Lehnsherren grausames Unrecht, und er bricht auf, zum eben jenes Unrecht mit gleicher Grausamkeit heimzuzahlen. Damit tritt er einen Kreislauf der Gewalt los, den er selbst zu stoppen versucht, als ihm ein fairer Prozess in Aussicht gestellt wird und er seine Leute auffordert, die Waffen niederzulegen. Vieles jedoch hat sich bereist verselbständigt – einige seiner Leute ziehen plündernd und mordend weiter, und die Obrigkeit spielt ganz einfach ihre Macht aus: Zunächst gibt man Kohlhass alles, wonach er verlangte, dann wird er enthauptet. Eine Gerechtigkeit gegen die andere.

   In einer mahnenden Ansprache formuliert ein Geistlicher, der Kohlhass zur Umkehr bewegen will, die Kernsätze dieses Films. Dabei argumentiert er ganz klar aus kirchlicher Sicht, das heißt aus der Sicht einer ihrerseits sehr mächtigen Institution, die durchaus nicht an Umsturz und Aufruhr interessiert ist, sondern primär daran, dass sich die Schäfchen mehr oder weniger brav und gottergeben in ihr jeweiliges Schicksal und ihre jeweilige Rolle fügen. Diese Szene ist brillant gestaltet, weil sie zunächst ganz unverfänglich beginnt als Appell an die Barmherzigkeit und den Verzicht auf Blutrache und erst nach und nach die eigentlichen Absichten des Sprechers bloßlegt. Der Geistliche weist Kohlhaas zurecht darauf hin, dass er schon jetzt sehr viele Menschen in den Krieg hineingezogen habe, die eigentlich gar nichts damit zu tun hatten und dass Gewalt und Leid nur noch zu mehr Gewalt und Leid führen würden. Doch schon indem er sagt „dein Krieg ist nicht ihr Krieg“, verrät er sich und befindet sich im Unrecht, denn natürlich bedeutet Kohlhaas’ Feldzug auch einen Feldzug gegen die Schreckensherrschaft der Lehnsherren, die den Bauern kaum genug zum Überleben lassen und auch nur jeden Ansatz eines Aufbegehrens mit brutalster Gewalt ersticken. Ein Kampf also für mehr Gerechtigkeit und Freiheit? Das nun auch wieder nicht, denn Kohlhass selbst verfolgt im Grunde nur seine ganz persönliche Rache, und nimmt es anfänglich eher gleichgültig hin, dass sich ihm mehr und mehr Männer anschließen, bis er eine kleine Armee beisammen hat. Ein soziales oder politisches Anliegen hat er dennoch nicht, denn als er sich am Ziel wähnt, bricht er den Kampf sofort ab, obwohl an sich noch gar nichts gewonnen ist. Der Geistlicher aber will weiterhin darauf hinaus, die Atmosphäre von Aufruhr und Umsturz zu besänftigen, denn die Kirche kann ganz gut mit den jetzigen Verhältnissen leben und hat gar kein Interesse an Veränderungen. So ist sein Plädoyer für Frieden und Vergebung eine mehr als zwiespältige Angelegenheit, und so komplex wie diese Szene sind auch viele andere, die Kohlhaas zerrissen zeigen zwischen Wut, Entschlossenheit einerseits und Einsamkeit und Verzweiflung andererseits. Die Frage, was Gerechtigkeit ist, wird hier richtig gestellt: Wer bestimmt, was Gerechtigkeit ist? Kohlhaas sorgt allein dadurch für Aufsehen, dass er Recht und Gesetz plötzlich in die eigene Hand nimmt und es damit denen nimmt, die es von Gott gegeben und für sich gepachtet haben. Er nimmt sich das Recht mit einer Selbstverständlichkeit, die als reine Provokation gelten muss, denn hier kommt einer, der die festgefügte Ordnung, den Terror der Mächtigen nicht mehr hinnehmen will. Ein Held ist er deswegen noch lange nicht, sondern eine völlig gespaltene Figur, und natürlich ein zum Tode Verurteilter, denn man ahnt natürlich schon früh, dass so etwas kein gutes Ende nehmen kann.

 

   Ein wuchtiges, düsteres, wortkarg, spröd und sperrig inszeniertes Drama in grandiosen, dunklen, schattigen Bildern, getragen von archaischen, ausdrucksvollen Gesichtern und einem ebenmäßig ruhigen Balladenrhythmus. Vielleicht wirkt der Film hier und da etwas getragen oder kunstgewerblich, mir hat er aber gefallen, weil Stil und Konzept sehr konsequent durchgezogen werden und im Rahmen der Kleistschen Geschichte auf mich jedenfalls völlig überzeugend gewirkt haben. Genauso wie Mads Mikkelsen, dessen stoische Präsenz den Film über die gesamten zwei Stunden auf eindrucksvolle Weise trägt. (17.9.)