¡No! Von Pablo Larraín. Chile, 2012. Gael García Bernal, Alfredo Castro, Antonia Zegers, Luis Gnecco, Marcial Tagle, Nestor Cantillana

   Das Jahr 1988: Chile blutet seit anderthalb Jahrzehnten unter der Pinochetdiktatur, und nun soll ein verfassungsmäßig vorgeschriebenes Referendum darüber entscheiden, ob es noch weitere acht Jahre werden sollen. Die Entscheidung reduziert sich auf zwei simple Schlagworte: Sí oder No. Beide Gruppen bekommen über einen Monat täglich eine Sendezeit von fünfzehn Minuten im staatlichen Fernsehen zugesprochen, um ihre Interessen an die Leute zu bringen. Die Macher der Sí-Kampagne sind siegssicher, weil sie die bessere Sendezeit haben und ja auch den gesamten Rest des Programms nach ihrem Gutdünken gestalten. Die Macher der No-Kampagne heuern René Saavedra an, einen Profi aus der Werbung, der ihre Spots ein wenig publikumswirksam, aufpolieren soll. Und genau das tut er auch, nur nicht ganz so, wie manche der Mitstreiter sich das vorstellen. Statt bierernster Betroffenheitslamentos gibt es bunte, optimistische, fröhliche Bilder, das Zauberwort heißt „Freude“, die Szenen und Motive könnten auch aus der Coca-Cola-Werbung stammen, was viele der Kampagnemitglieder, zumeist selbst Opfer des Regimes, als respektlos und banal verurteilen. Dennoch setzt sich René mit der Zeit durch, doch wird ihm das Leben an anderer Stelle deutlich schwerer gemacht: Sein Vorgesetzter und Freund lässt sich vor den Karren der Pinochetbefürworter spannen, die Mutter seines Sohnes, von der er getrennt lebt und die seit langem zur hochgradig verfolgten Opposition gehört, wird ständig geprügelt und drangsaliert, und schließlich parken die Wagen der Terrorschergen auch vor seiner Haustür, was die Bedrohung ganz real und akut werden lässt. Es kommt aber nicht zum äußersten, weil das Land in der Zeit vor dem Referendum unter verstärkter internationaler Bewachung steht, und es das Militär auch nicht mit dem großen Freund im Norden des Kontinents verscherzen will, denn auf die Unterstützung der USA war man stets maßgeblich angewiesen. Am Tag der Abstimmung dann geraten Oppositionelle ins Visier schwer gerüsteter Armeeeinheiten, die üblichen Szenen der Gewalt und des staatlichen Terrors finden statt, doch das ist vergessen, als bekannt wird, dass die Abstimmung tatsächlich und völlig wider Erwarten zugunsten der Pinochet-Gegner ausgegangen ist. Der General muss abdanken, sein Nachfolger kann wieder demokratische Strukturen einführen, das Land kann langsam aus dem Trauma erwachen. Und René Saavedra? Macht wieder Werbung!

   Diese abschließende Fußnote ist so ein wenig typisch für diesen Film, der sich in manchen Szenen sehr nahtlos in die Tradition lateinamerikanischen Politkinos einsortieren lässt, in anderen Szenen aber auch deutlich davon abweicht. Larraín relativiert oder verharmlost den furchtbaren, brutalen Terror Pinochets zu keiner Zeit, im Gegenteil, er findet immer wieder Wege, die Paralyse, die Ohmacht, die völlige Zerstörung einer Gesellschaft zu zeigen, die fünfzehn Jahre lang von Folter, Mord, Verschleppung und ständiger Angst zermürbt worden war und die zum größten Teil selbst nicht an die Möglichkeit glaubt, diesem Alptraum entkommen zu können. Zu groß ist das Misstrauen, allzu gerechtfertigt scheint die Annahme, es handele sich nur um eine zynische Geste für die Weltöffentlichkeit, um zu demonstrieren, wie offen und freiheitlich die Dinge in Chile standen, während Pinochet und sein Regime in Wahrheit natürlich nicht im Traum daran dachten, ihre Macht abzutreten. Die bedrückende Atmosphäre in den Straßen Santiagos, die ständige Furcht vor am Straßenrands geparkten Autos mit sonnenbebrillten Typen drin, die Ohnmacht der Opposition, erst recht in dem Wissen um den mächtigen Alliierten und der widerliche Triumph der Machtelite werden klar und deutlich zur Schau gestellt, doch gibt es einen Faktor, der die gesamte Darstellung auf fast irritierende Weise zu konterkarieren scheint, und das ist die Person Saavedras, der den hitzigen Debatten scheinbar desinteressiert zuhört, der nie politische Stellung bezieht, der sich einzig und allein für die Gestaltung der TV-Spots interessiert und der erst ganz langsam zu verstehen beginnt, dass er sich nicht mehr heraushalten und so tun kann, als kümmere er sich nur um seinen Job und habe mit Politik nichts am Hut. Er wirkt zunehmend engagierter und betroffener, lässt auch zu, das politisch explizite Beiträge eingeschoben werden, und man spürt, dass er sich wirklich für die Sache zu erwärmen beginnt. Und dann kommt das Ende, er macht wieder den gleichen Quatsch wie zu Beginn und man fragt sich doch, ob die Ereignisse in ihm irgendwas bewegt haben mögen, auf Dauer gesehen.

 

   So gesehen ist dies ein Politfilm mit eingebautem Abgrund, der dabei keinesfalls an Brisanz oder Ausdruckskraft verliert. Gedreht im Stil hässlicher VHS-Videos der 80er – kleines Format, verwaschene Farben, scheinbar wenig Interesse an attraktiven Bildern – und im Ton eher zurückhaltend statt polemisch oder gar pathetisch, denn das ist er ganz sicher nicht. Er erzeugt eine Spannung, die mit fortschreitender Dauer der Kampagne stets ein wenig intensiviert wird und schließlich in der Straßenschlacht zwischen Demonstranten und Militär kulminiert. Er zeigt ein von Gewalt und Unrecht zerrissenes Land und seine Bewohner. Er verfolgt mit durchaus ironischem Blick auf Details eine politische Auseinandersetzung, die tatsächlich ganz auf das Format Television zugeschnitten war – insofern durchaus ein sehr moderner Vorgang in einem System, das sich ja auch sonst gern seiner Modernität gebrüstet hat. Er widmet sich den gesellschaftlichen Strukturen mit deutlich mehr Biss, was auch für Inhalt und Qualität der argumentativen Ebene gilt. Und er zeigt einen Mann auf dem Weg, politisiert zu werden, von dem er am Schluss scheinbar ebenso leicht wieder abspringt, wie er einige Monate zuvor aufgesprungen war. Kurz: Kein Film für den schnellen Verzehr, gottseidank, sondern eine durchaus gewichtige Wortmeldung aus Südamerika, das in den letzten Jahren eher für „kleine“ und skurrile, private Filme steht, was ich schon immer ausgesprochen schade fand. (11.3.)