Paradies: Glaube von Ulrich Seidl. Österreich/BRD/Frankreich, 2012. Maria Hofstätter, Nabil Saleh

   Nach ungefähr einer Viertelstunde hat man die Botschaft kapiert – und dann kommt nichts mehr. Zwei Stunden lang nichts als Einsamkeit und Tristesse, das hat natürlich etwas zu sagen, hätte aber auch ebenso gut in der Hälfte oder gar einem Viertel der Zeit gesagt werden können. Diesmal hat Seidl mich nicht überzeugt, vielleicht auch deshalb nicht, weil Missionare irgendwie nicht an mich gehen, oder weil er es nicht geschafft hat, dass wir Zuschauer auch nur irgendeine Art von Beziehung zu dem geschehen auf der Leinwand herstellen können. Denn da tut sich ganz wenig bis gar nichts. Die kunstvolle Distanz, die Seidl immer gern in seinen Filmen erschafft gerät ihm diesmal klar zum Nachteil, hat jedenfalls bei mir eine andauernde und bis zuletzt nicht aufgehobene Leere, ja fast Gleichgültigkeit erzeugt. Dass es zu solch massiven Emotionen wie Abscheu oder Mitleid nicht reicht, liegt ganz in Seidls Absichten und soll ihm meinetwegen auch zugestanden werden. Doch dass man beim Zusehen so gar nicht mitgeht, nichts empfindet außer vielleicht einem intensiver werdenden Befremden, das kann er doch kaum gewollt haben, oder?

   Wir begleiten eine Frau auf ihrem Weg durch ödeste Wiener Vorstädte. Sie ist fanatisch überzeugte Christin und Teil eines obskuren, teilweise faschistisch angehauchten Betvereins, der es sich offensichtlich zum Ziel gesetzt hat, den Katholizismus in alle österreichischen Bürger zu pflanzen, vor allem also in die Zugereisten. Um die kümmert sich die Frau in erster Linie, aber ein paar gestrandete Landsleute sind auch dran, und dann ist da noch ihr Ehemann, ein querschnittsgelähmter Muslim, der sie fortwährend drangsaliert und terrorisiert, wohingegen sie ihn auf Abstand hält und versucht, ihm sein Handicap als eine Prüfung Gottes schmackhaft zu machen. Auch ihn sieht sie als solche an, doch gerät ihr häuslicher Zweikampf immer erbitterter und rüder, und am Schluss sieht man sie zum ersten Mal verzweifelt und nicht mehr fest an sich und ihre Mission glaubend.

 

   Wie im ersten Film kommt die zentrale Vokabel auch hier entweder nicht oder nur in stark verzerrter Form vor. Glaube als Zuflucht, als Waffe, nicht als ein natürlicher Teil der Identität, sondern als etwas, das man an sich reißt, das man ganz verschlingt und dem man sich ganz ausliefert. Die Frau hat buchstäblich nichts anderes in ihrem Leben, hat sich ganz der Liebe zu Gott und Jesus und der Jungfrau Maria überantwortet, und diese Liebe erhält, wie man spät im Film sieht, bei Bedarf durchaus eine massiv sexuelle Note, wenn die Gute den Gekreuzigten nämlich in ihr Bett und dann auch unter die Bettdecke mitnimmt. Ein Moment, der klar auf Provokation angelegt ist und mit Sicherheit eine ganze Menge Dummköpfe auf die Palme gebracht hat, dabei sollten andere Szenen viel mehr Anlass zur Unruhe geben. Seidls neuerliches Porträt suburbaner Einsamkeit ist reichlich erschütternd und wirkt so niederschmetternd und hoffnungslos wie nie zuvor. Der verwahrloste Messie oder die alkoholisierte Russin geben ein trauriges Bild der sprichwörtlichen Randexistenz, die nicht integriert werden konnte und nun auch nicht mehr will, und der auch die extrem beharrliche und fast gewaltsam aufdringliche Missionarin nicht mehr helfen kann. Weil man ja just den ersten Film aus der Trilogie gesehen und sich bereits an Seidls Hang zur Quälerei gewöhnt hat, ist man diesmal darauf vorbereitet, dass diese Szenen so lang andauern, bis man um Erlösung flehen möchte, und auch darin liegt natürlich eine Absicht. Fast jedes kunstvoll hässlich komponierte Bilder trägt eine Absicht vor sich her. Tief sinkt die Schwere in uns ein, die Rückenansicht der musizierenden und singenden Betschwester, ihre Selbstkasteiung mit nacktem Oberkörper, ihre langen Wege durch Betonwüsten und Sozialbaughettos, die bedrückende Enge des Eigenheims mit ihrem Mann, der mir ebenso fern und fremd geblieben ist wie sie. Seidl überlässt es uns selbstverständlich voll und ganz, wie wir zu diesen Figuren stehen wollen, doch habe ich mich diesmal dabei ertappt, dass ich gar keine Einstellung zu ihnen finden konnte, weder Ablehnung noch stilles Verständnis, von stärkeren Regungen mal ganz zu schweigen. Der Film ist sicherlich ein perfekt konstruiertes Stück Kopfkino mit immerhin der einen oder anderen Szene, die ein entsetztes Gelächter im Publikum erzeugt, doch zu mehr reicht es nicht, und, wie ich zu Beginn schon sagte: Nach kürzester Zeit ist der Claim abgesteckt und danach tut sich nichts mehr, kommt nichts mehr. Stagnation als Stilmittel, ist klar, aber auch das kann schon mal beim Betrachter selbst eine gewisse Leere hervorrufen. So ähnlich ist es mir in diesem Fall ergangen. Dennoch werde ich auch Teil drei der fröhlichen Trilogie ertragen und erhoffe mir wieder etwas weniger Statik und etwas mehr Leben. (25.3.)