Paradies: Hoffnung von Ulrich Seidl. Österreich/BRD/Frankreich, 2013. Melanie Lenz, Joseph Lorenz, Michael Thomas, Verena Lehbauer, Alexia Greimel, Renee Marat, Johanna Schmid, Vivian Bartsch
Im dritten Teil der Paradies-Trilogie erfahren wir nun endlich, was Melanie macht, während die Mama in Kenia Sextourismus betreibt und die Tante in ihrem Mariamobil umherfährt und Ungläubige zu bekehren versucht. Melanie wird von selbiger Tante in einem Diät-Camp abgeliefert, wo sie sich mit fünfzehn anderen speckigen Teenies in einer Gruppe zusammenrotten muss, um durch strikte Disziplin ein paar Pfunde loszuwerden. Da ihnen das mit der Disziplin besonders impertinent eingehämmert wird, begehren die Kids natürlich bald auf, zumal sie den Aufenthalt als halbe Gefängnisstrafe erleben müssen und jeglicher Gedanke an Freiheit absurd erscheint. Also trifft man sich abends bei den Mädels auf der Bude, raucht, säuft, spielt ein bisschen Flaschendrehen, oder rückt auch schon mal zu zweit aus in die Disco, erlebt dort allerdings unter Einwirkung von K.o.-Tropfen einen unschönen Absturz. Einen weiteren Absturz erlebt die Melanie, als sie sich in den Anstaltsdoktor verknallt, und der erst ein bisschen mitzuspielen scheint, um sie am Ende dann doch abfahren zu lassen. Melanie versucht in ihrem Unglück, die Mama in Afrika anzurufen, doch die geht nie an ihr Handy (wissen wir noch aus Film eins). Und am Schluss bleibt nur die Alltagsroutine in der Anstalt: Schlafen auf Etagenbetten in Viererkammern, Antreten auf dem Flur, Bauchklatschen draußen im Regen, Joggen im Kreis, Futtern im Kollektiv- und all das schön unter Beobachtung.
Wo hier die Hoffnung ist, bleibt genau so offen, wie mit der Liebe und dem Glauben in den anderen beiden Filmen. War ja klar. Trotzdem ist dies der vergleichsweise verträglichste Beitrag der Trilogie, was nicht heißt, dass er nicht teilweise doch ganz schön bös werden kann. Der idiotische und lachhafte Drill der hoffnungslos überforderten Speckies wirkt wie eine bissige Parodie auf Kasernenmentalität, und vor allem die „pädagogischen“ Maßnahmen des Fitnesstrainers nehmen mitunter fast schon faschistoide, in jedem Fall aber arg erniedrigende Züge an. Beim mitternächtlichen Naschen erwischte Girls müssen auf den schlotterkalten Gängen exerzieren oder gar ausgestreckt auf dem Fußboden büßen, und höhnische Spötteleien müssen sie sich allesamt von Tag zu Tag gefallen lassen. Immerhin versucht man, außerhalb des strengen Regimes ein wenig Spaß zu haben oder erzählt sich kichernd die ersten Sexerlebnisse. Diese (wunderbar eingefangenen und gespielten) Momente bilden ein sehr gesundes Gegengewicht zu dem ansonsten eher krank- und zwanghaften Treiben im Dienste der schlanken Linie, zumal sie zeigen, dass den Teenies trotz allem ein Stückchen Identität, Eigensinnigkeit und Lebensfreude nicht auszutreiben war, obwohl genau das offensichtlich angestrebt wurde. Man könnte jetzt nicht behaupten, dass Seidl wirklich innig mit den Kids sympathisiert (diese Vokabel kommt mir in all seinen Filmen nicht wirklich in den Sinn), dennoch scheint manchmal (ganz leis natürlich nur) fast so etwas wie - äh - Wärme durchzuschimmern, wenn die Mädels dort nebeneinander auf den Betten lümmeln, ihre im Chor piependen Konsolen bedienen oder fachmännisch über Lecken und Blasen debattieren. Was man halt so tut, wenn man dreizehn ist, gelt.
Dies ist auch der am wenigsten unbarmherzige Film der drei, das heißt, er macht uns nicht total fertig, er reizt nicht jeden hässlichen Moment bis an die Schmerzgrenze aus (er ist auch gute zwanzig Minuten kürzer als die anderen beiden) und er verbreitet irgendwie nicht das Gefühl völliger Trostlosigkeit, obwohl vieles hier alles andere als lustig ist. Dennoch regt sich zumindest in einigen der Campinsassen der Wille zur Auflehnung, was dann vielleicht doch als ein Zeichen der Hoffnung gesehen werden kann, auch wenn sich die despotische Obrigkeit weitgehend durchsetzt. Wie optimistisch oder pessimistisch Seidls Welt- und Menschenbild im ganzen ist, beantworten die anderen beiden Filme viel eher. Schön ist die Welt jedenfalls nicht. Aber so ist das wohl, wenn man Österreicher sein muss... (6.6.)