Paradies: Liebe von Ulrich Seidl. Österreich/BRD/Frankreich, 2012. Margarethe Tiesel, Peter Kazungu, Inge Maux, Gabriel Mwarua, Carlos Mkutano, Josphat Hamisi, Dunja Sowinetz, Helen Brugat

   Bloß nicht glauben, was der Titel zu versprechen scheint: Von Paradies und Liebe weit und breit keine Spur, höchstens in einer sehr pervertierten Form. Alles natürlich die reine Absicht, zumal man sich bei einem wie Ulrich Seidl von vornherein ausmalen kann, mit welcher Sorte Film man es zu tun bekommen wird – und richtig: Die bewährte und zugegeben brillant exerzierte Mischung aus bitterem Sarkasmus und aufrichtiger Traurigkeit kommt auch hier zum Einsatz, auch hier bekommen wir zwei Stunden lang die volle Packung, bis es am Ende nicht mehr geht und wir fast erleichtert in den Abspann entlassen werden. Dieses Gefühl haben Seidls Filme ein wenig mit denen seines Landmannes Michael Haneke gemein – liegt vielleicht einfach an den Österreichern selbst und daran, wie sie die Welt und die Menschen darin sehen.

   Teresa ist Mutti eines speckigen, mit dem Handy verwachsenen Teenies und lebt auch sonst ein ziemlich freudloses Leben in einer freudlosen Wohnung in einer freudlosen Siedlung – und so weiter. Eines Tages deponiert sie die Tochter bei ihrer Schwester und macht sich auf in den Urlaub. Es geht nach Kenia, und offenbar mit ganz konkreten Absichten, denn alsbald rotten sich in der Ferienanlage ein paar österreichische Damen mittleren Alters zusammen und halten Ausschau nach knackigen schwarzen Jungs mit schönem Hintern und langem Schwanz. Die gibt’s dort offenbar zuhauf, und nach kurzer Aufwärmphase steigt auch Teresa ein in das Spiel: Sie lässt sich von jungen Einheimischen anquatschen, in eine Kneipe und anschließend in irgendeine Bude abschleppen. Dort gibt’s unbeholfenen Sex und nach ziemlich kurzer Zeit wird die weiße Frau zur Kasse gebeten für die Schwester, den Vater, die Mutter oder sonst einen Verwandten. Wenn nicht genug Geld fließt, werden flugs die Zuneigungsbekundungen abgestellt, und Teresa sucht sich den nächsten Loverboy. Das geht zwei, drei Mal nach diesem Muster, bis sie schließlich die Schnauze voll hat. Zwischendurch gibt’s noch einen Exkurs in Sachen Urlaubsorgie, als sich vier Damen anlässlich Teresas Geburtstag einen Schwarzen aufs Zimmer kommen lassen und nun alles in ihrer Macht stehende unternehmen, um dem Knaben wenigstens eine winzig kleine Erektion abzuringen. Der Aufwand ist enorm, der Ertrag kümmerlich, und am Ende herrscht die blanke Tristesse.

 

   Diese qualvoll ausgedehnte Szene, an deren Ende buchstäblich jeder im Kinosaal erleichtert aufatmet, illustriert Seidls Taktik am deutlichsten und schmerzhaftesten: Zwischen absurder Komik und bissiger Ironie balancierend trägt er unerbittlich und nachdrücklich sein Anliegen vor, nämlich die verschiedenen Formen von Ausbeutung und Erniedrigung vorzuführen, die sich in dem Zusammenhang mit Sextourismus bzw. Neo-Kolonialismus denken lassen. Natürlich wird hier jedermann ausgebeutet und erniedrigt, die westlich Urlauberinnen genauso wie die einheimischen Männer. Die einen haben das Geld, die anderen wollen es haben. Die einen kaufen, die anderen lassen sich kaufen. Die einen kalkulieren mit der Macht des Geldes, die anderen mit der Macht des Triebes. Beide scheinen zu kriegen was sie wollen, von außen betrachtet aber sind beide auch Verlierer, zumindest was ihre Menschenwürde angeht. Die einen erniedrigen sich für ein bisschen Pseudoliebe, die anderen für Geld, beide gerade für das, was ihnen am meisten fehlt. Beide gehen gleichermaßen direkt und berechnend aufs Ziel los, die Regeln sind eigentlich sonnenklar, auch wenn man sich ein bisserl ziert und windet, aber das gehört auch zum Spiel. Die schwarzen Jungs lassen fast alles mit sich machen, auch wenn ihre Mienen mehr als einmal das pure Befremden widerspiegeln, und die weißen Frauen lassen wenigstens für zwei Wochen mal die Hüllen der Zivilisation fallen, blättern einfach ein paar Kröten hin und nehmen sich dann, was sie begehren. Anders als daheim, wo sie noch nicht mal mehr ihr Ehemann anguckt, werden sie hier damit Erfolg haben, denn niemand wird sie abweisen - mögen sie selbst noch so schwammig und unansehnlich sein, ihre Geldscheine sind es nicht. Sie mutieren zu albern kichernden Mädchen, keifenden Tyranninnen oder pedantisch Abweisung gebenden Oberlehrerinnen, was auch immer, ihre Loverboys machen alles mit, denn am Ende steht die fällige Belohnung und die rechtfertigt jede Demütigung. Seidl ist nicht so töricht, für eine der beiden Seiten Partei zu ergreifen, er zeigt vielmehr das Elend beider Welten und was passiert, wenn diese Welten aufeinander treffen und in einen Warenaustausch treten. In jedermanns Kopf ist natürlich die Hierarchie zwischen „erster“ und „dritter“ Welt vorhanden, und Seidl treibt mit diesem Denkmuster perfiden Schabernack, sprich er bringt uns dazu, unsere eigenen Denkmuster mal genauer anzuschauen. Er widmet sich dazu den Personen hier ganz vorurteilsfrei und fest entschlossen, auf keinen Fall wegzusehen, auch wenn wir uns das gelegentlich mal wünschen.  So entsteht nebenbei auch noch eine Milieustudie, die mir jedenfalls die Lust auf einen All-inclusive-Pauschalurlaub an exotischen Gestaden ein für allemal vermiest hat. Schlimmer geht’s nimmer – tagsüber in Reih und Glied auf der Liege rund um den Pool, oder an der Küste mit Blick auf den weit entfernten und wenig einladenden Strand. Ein unvergessliches Bild – ein Rudel weißer Touristen, von grimmig dreinblickenden Uniformträgern bewacht und belagert von Einheimischen, die nur darauf warten, dass einer der Touris sich zu einem Strandspaziergang aufmacht, damit sie ihn mit Beschlag belegen können. Dazu dann Animation der finstersten Sorte und abends Spiel und Spaß im Hotel – da schüttelt’s mich! Seidl nimmt hier fast nebenbei eine ganze Industrie aufs Korn, und es gehört keine Fantasie dazu, um diese Industrie genau dem bewussten Neo-Kolonialismus zuzuordnen. Der Blick auf die einzelnen Frauen, speziell auf Teresa, schwankt zwischen bösem Sarkasmus und Mitgefühl, denn natürlich ist auch sie nur eine arme, frustrierte Sau, die wie alle anderen ihr Stückchen vom Kuchen haben will und wie viele andere dafür eben bezahlen muss. Die Würde hängt am seidenen Faden, wie auch bei den Mungas und Josphats und Gabriels dieser Welt, doch allen ist gemeinsam, dass sie diese frage zugunsten der Bedürfnisbefriedigung zurückstellen. Für die einen geht’s um die Existenz, für die anderen (nur) um ein wenig Spaß und Selbstbestätigung. Ernüchternde Nachrichten aus unserer Schönen Neuen Welt, mit manchmal grausamer und manchmal erschütternd komischer Nüchternheit in kargen Szenen aneinander gereiht. Extrem gekonnt und konsequent das Ganze, aber natürlich so gefällig wie fiesester österreichischer Schmäh. Wer das nicht akzeptieren kann, wird nach einer halben Stunde weg sein, aber Seidls Filme haben schon immer Geduld und Leidensfähigkeit erfordert. Wie man lesen kann, ist dies der Auftakt zu einer Trilogie - das kann ja heiter werden... (22.1.)