Promised Land von Gus van Sant. USA, 2012. Matt Damon, Frances McDormand, John Krasinski, Rosemary DeWitt, Hal Holbrook, Scoot McNairy
Just in dieser Zeit, da der Triumph des Global- Total- und Brutalkapitalismus allen Profitgeiern dieser Welt suggeriert, auf dem Weg zum ganz großen Absahnen gebe es überhaupt keine Hindernisse mehr, und alles was mit Werten und Identitäten und Identifikationen zu tun hat, ließe sich mit ein bisschen Bakschisch schon regeln, ist es natürlich erst recht wichtig, ein Zeichen dagegen zu setzen. Genau das tut „Promised Land“, und schon deswegen ist er mir sympathisch. Ohne Frage ließe sich weitaus schärfer und aggressiver argumentieren, und ich gebe zu, dass ich insgeheim von van Sant auch etwas derartiges erhofft hatte, aber okay, der Film tut’s nicht, er will (leider) nicht richtig wehtun, aber er will einstehen für eine Sache, das tut er auch, und damit tut er schon mehr als fünfundneunzig Prozent aller übriger US-Produktionen.
Wir sehen Steve und Sue, zwei Klinkenputzer in Diensten eines großen Energiekonzerns namens Global, der im Wettrennen um das Erdgas die Nase vorn haben möchte. Steve und Sue sind unterwegs im ländlichen Pennsylvania, wo sie Bewohner eines kleinen Ortes überreden müssen, ihr Land an Global abzutreten, damit mit Hilfe des sogenannten „fracking“ tief gelegene Ressourcen gefördert werden können. Die Sache geht nicht so glatt wie erhofft, weil ein alter Lehrer mehr weiß, als gut sein kann und seine Nachbarn überredet, die Sache ein wenig zu überdenken und eine Abstimmung durchzuführen. Steve und Sue ackern fleißig, doch als der smarte junge Ökoaktivist Dustin auftaucht und ein paar hässliche Fakten aus Globals Vergangenheit mitbringt, wendet sich die öffentliche Meinung deutlich gegen Steve und Sue. Als dann allerdings herauskommt, dass Dustin falsch gespielt hat, wendet sich die Meinung wiederum, und dann auch noch herauskommt, dass Gobal selbst den Falschspieler eingeschleust hat, und genau diesen neuerlichen Umschwung zu erzeugen, hat Steve die Faxen dicke. Anlässlich der öffentlichen Abstimmung legt er Globals schmutziges Spiel bloß, distanziert sich in aller Form von den Machenschaften seines (Ex-) Brötchengebers und betont, dass es andere, elementarere und wichtigere Dinge gebe als materiellen Wohlstand, und dass er selbst nun auch die Absicht habe, sich dieser Werte zu erinnern. Während Sue achselzuckend davonrauscht und erklärt, sie mache halt nur ihren Job, bleibt Steve vor Ort und kriegt für soviel Integrität die schnuckelige Dorfschönheit Alice als Zugabe obendrauf.
Dieses letzte Zückerli hätte ich mir gern erspart, ein solch totales Happyend hätte ich nicht gebraucht, und der Film auch nicht, wie ich finde. Steves zurückhaltend und doch voller Intensität vorgetragene Ansprache enthält mehr Hoffnung als jede glückliche Romanze, und auch ohne die nette Trophäe wäre Steve schon zu einem echten Helden geworden. Einem, der seine hart antrainierten und verinnerlichten Grundsätze und Überzeugungen hinterfragen, prüfen und schließlich über Brodwerfen kann, weil sie ihn eben nicht mehr überzeugen. Einem, der sich auf die eigenen Wurzeln besinnt, sich daran erinnert, mit welchen Werten er aufgezogen wurde und was nun aus diesen Werten geworden ist. Einem, der erkennt, dass Geld nicht alles ist. So einfach wie es klingt, ist es auch. Dabei formuliert er eine halbe Stunde vorher in einer nicht weniger engagierten Ansprache genau das Gegenteil und konfrontiert die Farmer aus dem Dorf mit ihrer Situation: Was habt ihr schon? Was ist aus eurem Besitz geworden? Was passiert, wenn eines Tages die staatlichen Gelder versiegen, wenn ihr keine Subventionen mehr bekommt, die euch seit Jahr und Tag gerade so über Wasser halten? Und er hat Recht. Die Verhältnisse, wie wir sie hier vorfinden und wie sie uns in aller Deutlichkeit und ohne jede Beschönigung präsentiert werden, sind erschreckend, wenn man bedenkt, dass man sich eigentlich in jenem Land befindet, das sich so gern für das Zentrum westlicher Zivilisation hält. Ärmlich, rückständig und vor allem ohne Aussicht auf Verbesserung, falls sich nicht grundlegendes ändert. Genau in diese Kerbe schlagen die Energiekonzerne, machen sich die verzweifelte Lage vieler Landbewohner zunutze, gaukeln ihnen gar Profite im sechsstelligen Bereich vor und verschweigen natürlich alle Risiken und Nebenwirkungen, die das fracking nun mal mit sich bringt. Wie dünn das Eis ist, auf dem diese Blender sich bewegen, wird durch ein paar unbequeme und gut informierte Fragen des alten Naturwissenschaftlers klar, und auch durch Steves nervöse, alles andere als souveräne Reaktionen. Widerstand ist tödlich, weil es geht um Zeit, und Zeit ist Geld. Natürlich hat Global schon jede Menge kleinere und größere Umweltskandale auf dem Buckel, und natürlich wissen auch Steve und Sue, dass ein paar gezielter und hartnäckige Recherchen viel Unangenehmes zutage fördern könnten. Ihr Job ist es, in Namen des Fortschritts aufzutreten, Visionen einer strahlenden Zukunft zu malen, und alle Ängste, Zweifel und Bedenken rasch zu verwischen mit dem wiederholten Hinweis auf die enormen Gewinne, die direkt unter den Farmhäusern im Boden verborgen liegen und nur darauf warten, ans Tageslicht befördert zu werden.
Van Sant enthält sich jeglicher Kraftmeierei. Der Film ist angenehm ruhig, konzentriert und dabei doch spannend, weil er den sich anbahnenden Konflikt sehr gut aufschlüsselt und verteilt. Gelegentliche Scharmützel unter kernigen Flanellhemdkerlen sind eine Sache, was sich langsam aber sicher in Steve selbst abspielt, ist etwas ganz anderes. Der Film gibt beidem Raum und zeichnet zudem ein realistisches Bild vom Leben heute – außerhalb der großen Städte. Auf dem Weg raus aufs Land stellen Steve und Sue fest, dass man eigentlich nur ein paar Meilen aus irgendeiner Stadt herauszufahren braucht, und es sieht so aus wie hier, egal wo man ist. Der Unterschied: Die Verhältnisse auf dem Land werden viel weniger registriert und publiziert, sie haben einfach nicht soviel Öffentlichkeit. Ein Farmer fragt Steve ganz direkt. Warum bohrt ihr keine Löcher in Manhattan oder in Pittsburgh, warum ausgerechnet hier bei uns? Steve gibt darauf keine Antwort, sie ist aber klar: Weil die Landeier schlicht und ergreifend keine Lobby haben. Wie jeder Krieg fechten die Amis auch diesen am liebsten auf fremdem Boden aus, halten die Folgen und Konsequenzen mit Vorliebe von den Zentren der Macht fern. Dennoch bleibt auch die Frage: Was wird aus den vielen kleinen und mittelgroßen Farmern auf Dauer, welche Perspektiven gibt es, welches Konzept hat die Regierung, welche Chancen die Leute selbst. Der Film, mag er auch in einigen Passagen ein wenig naiv oder zu schön anmuten, wirft auf sehr unaufdringliche Art und Weise viele Fragen auf, ohne für sich in Anspruch zu nehmen, für alles einen Plan, ein Rezept vorweisen zu können. Immerhin macht er sich stark gegen den alles verschlingenden Raubbau und für ein bedachtes, achtsames Vorgehen. Sein Misstrauen gilt den mächtigen Multis, seine Solidarität den sogenannten kleinen Leuten. Wem das zu schlicht ist, meinetwegen, als Zeichen und Signal ist es dennoch nicht zu unterschätzen, und wie gesagt: Zwischen all dem belanglosen Popcorn, das man sonst zu fressen bekommt, ragt ein Film wie dieser jederzeit heraus. (24.6.)